Vielleicht sollte ich kurz erklären, wie ich das mit den Genres meine. Gerade wenn ich so etwas schreibe wie:
"Mach keine hohe Kunst. Es geht darum, eine solide Genre-Arbeit abzuliefern" oder
"Bleib einfach: Protagonist mit Sidekick, Antagonist mit Sidekick, oder was immer die Basics für das Genre sind." Halte ich Genre-Fiktion grundsätzlich für doof? Für eine Anfängerübung, im Gegensatz zum "richtigen" Schreiben? Ich wäre ja nicht der erste, der dieser Dummheit aufsäße.
Wenn im Amerikanischen von Genre-Fiktion die Rede ist, meint man damit meistens triviale Genres - Horror, Science Fiction und so. Geschichten, deren Erzählhorizont durch Konventionen bestimmt wird. Wenn ich von Genre-Fiktion rede, meine ich auch meistens diese Genres. Dagegen stehen Genres wie Autorenfilm, Historiendrama, Biographie, modernes Regietheater, von denen angenommen wird, dass sie die freiere und bessere Erzählkunst repräsentieren. Aber ehrlich, guck Dir mal die ganzen Biopics der letzten Jahre hintereinander an. Noch schlimmer, die hochgelobten Historien-Mehrteiler wie "Die Flut" und "Die Luftbrücke". (Ich habe jetzt nicht geguckt, ob die wirklich so hießen, es ist aber auch egal, alles austauschbar.) Jedes Genre, anerkannt oder nicht, folgt Regeln. Nur, einige sind in dem Punkt ehrlicher.
Im PLOP-Interview vor einigen Jahren habe ich folgendes zu Genres gesagt:
Meine Geschichten setzen so ziemlich alle an verschiedenen Abenteuergenres an -
Horror,
Superhelden,
Fantasy,
Spionage,
Science Fiction. Wenn ich die Elemente beisammen habe, überlasse ich sie aber gerne sich selbst. Die Geschichten entwickeln beim Schreiben eine Eigenlogik, auch weil ich natürlich immer mehrere Dinge im Kopf habe. Was am Ende dabei rauskommt, ist nie "nur" Genre. Aber immer "auch".
Reception Man zum Beispiel. Die simple Grundidee war, eine Superheldenparodie zu machen mit den eigenen Mitteln des Superheldengenres. (Achtet mal drauf - die meisten Parodien versuchen, das Genre über eine Art "Außensicht" lächerlich zu machen. Langweilig.) Der Held ist also kein tumber Law-and-Order-Typ, er ist eher naiv und scheitert an seinem einfachen Heldenbegriff, weil solche Helden einfach nicht zeitgemäß sind. Naja, ein bisschen was von einem tumben Law-and-Order-Typen hatte er am Anfang auch noch. Aber das ist genau der Punkt: je weiter ich mit der Serie kam, desto komplexer wurde die Welt, in der sie spielt, und Reception Mans Verwobenheit darin. Zuletzt überlegte ich, einen Reception-Man-Comic im Stil der "Sad-Boy"-Comics zu machen, der autobiographischen Weltschmerzgeschichten, die in den letzten Jahren immer beliebter geworden sind. So weit hatte ich mich schon von den Grenzen des Superheldengenres entfernt, ohne das Genre selber zu verlassen.
Auch Conny van Ehlsing. Monster, Vampire, ein Geist, beengter Raum, eine Heldin an der Grenze ihrer Möglichkeiten (die Schule zu verlassen, liegt schon außerhalb ihrer Möglichkeiten) - diese Elemente reichen für eine Genrearbeit. Also bekämpft Conny die Monster, kommt ihren Umtrieben auf die Schliche - aber der eigentliche Horror ist natürlich, dass sie als kleines Mädchen dabei ziemlich alleine da steht. Dieser Aspekt verstärkt sich im Lauf der Erzählung. Es geht immer mehr um kleine Mädchen und immer weniger um große Monster. Es bleibt aber Horror. Die gleichen Geschichten als Ponyhofabenteuer würden einfach nicht funktionieren, denn das Grundmotiv der Angst und des Ausgeliefertseins steht im Kern des Ganzen. So lange das erhalten bleibt, funktioniert die Serie.
Spätestens wenn Du die Charaktere ernster nimmst als die Art der Konflikte, auf denen die Geschichten aufbauen, also im Grunde sobald Du aus einer Geschichte eine Serie machst, verlässt Du den Bereich der Genre-
Grenzen und betrittst den der Genre-
Möglichkeiten. Die Möglichkeiten des Horrorgenres erlauben mir, die Konflikte des Kindseins auf eine bestimmte Weise darzustellen. Die Konventionen des Superheldengenres eignen sich für ziemlich pointierte Geschichten über Selbstkonstruktionen, Lebenslügen und auch Geschlechterverhältnisse, eins meiner Lieblingsthemen.
Was aber am meisten für die Trivial-Genres spricht, ist ihre Zugänglichkeit. Ich will, dass meine Geschichten unterhalten. Ich will, dass man sie liest, weil es Spaß macht, und nicht, weil sie ja wichtig sein könnten. Genre-Fiktion verspricht genau das: Unterhaltung über Anspruch. Nicht ohne Anspruch, denn wenn die Unterhaltung stimmt, ist das Genre-Publikum auch für Anspruch offen.
Für mich ist das Genre gewissermaßen der Lieferanteneingang für eine Geschichte. Für den Leser ist es eine Möglichkeit, sich einzuschleichen, ohne allzuviel in den Zugang zu investieren. Für den Autoren ist es der Zugang, über den das ganze Material auf die Bühne geschafft wird. Was dann auf der Bühne passiert. ist eine andere Frage.