Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Dienstag, 28. August 2012
Adaptionen: Original vs. originell
Schreiben
Irgendwie verfolgen mich Adaptionen gerade: Neulich habe ich noch mit dem Kollegen Daniel Gramsch ein nettes Gespräch über Filmadaptionen von Comics geführt, und am nächsten Tag postet jemand in einem Forum was über seine Schwierigkeiten, eine Kurzgeschichte als Comic zu adaptieren. So weit, so gut. Lächerlich wird es erst bei den Zeitungsartikeln, die in letzter Zeit dauernd zu lesen sind und "die Comics" dafür loben, dass sie immer wieder Literatur adaptieren, und dass damit die Comics selber literarisch werden.

Also, um's mal klarzustellen:
Es gibt Comics, die sind Literatur. Und es gibt Comics, die adaptieren sie.
Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Auch wenn sich die beiden Felder natürlich theoretisch überschneiden können. (Stadt aus Glas ist ein schönes Beispiel.) Aber niemand würde einen Film, der auf einer Romanvorlage beruht, als Literatur bezeichnen, oder? Naja, der Reich-Ranicki vielleicht.

Ich will natürlich niemandem davon abraten, Literatur zu adaptieren, am wenigsten jetzt, wo man allein dafür, dass man sich eine Geschichte nicht selber ausgedacht hat, von den Feuilletons über den grünen Klee gelobt werden kann. Aber beachtet einfach die folgenden Punkte:

1. Werktreue ist euer Feind.

Meisterregisseur Alfred Hitchcock, dessen Filme meistens auf Buch- oder Theatervorlagen beruhten, soll mal gesagt haben, dass nur ein mittelmäßiges Buch einen guten Film abgebe. Das Zitat finde ich gerade nicht, aber es gibt eine sehr schöne Passage in Truffauts berühmtem Interview, in der Hitchcock sehr schön und selbstverständlich begründet, warum er nie "Schuld und Sühne" verfilmen würde.
A.H.: Naja, in Dostojewskis Roman gibt es viele, viele Wörter, und jedes hat eine Funktion.
F.T.: Das stimmt. Theoretisch ist ein Meisterwerk etwas, das seine perfekte Form bereits gefunden hat.
A.H.: Genau. und um das wirklich in filmische Mittel zu übersetzen, die Sprache des Romans durch die der Kamera zu ersetzen, müsste man einen sechs- bis zehnstündigen Film machen.
(Truffaut - Hitchcock, New York 1966, S. 50, Übersetzung von mir)
Ein Buch, das als Buch gut ist, macht noch keinen guten Film aus. Dazu braucht es ein Buch, das eine visuell interessante Geschichte hat, die man gut auf eine zweistündige Kernhandlung komprimieren kann. Das kann trotzdem ein literarisches Meisterwerk sein, muss aber nicht. Jedenfalls, genau die Qualitäten, die es zum literarischen Meisterwerk machen, sind hier eher hinderlich.

2. Schreibt gute Comics, nicht gute Adaptionen!

Hitchcock war nicht nur bekannt dafür, Bücher zu adaptieren, sondern auch dafür, sie völlig zu plündern und nicht viel von der Vorlage übrigzulassen:
Was ich tue, ist, ich lese eine Geschichte einmal, und wenn ich die Grundidee mag, dann vergesse ich alles über das Buch und beginne, Kino zu schaffen.
(ebd.)
Hitchcock ging es nie darum, gute Adaptionen zu schaffen. Er wollte gute Filme, gutes Kino. Je besser ihm das gelang, desto weniger interessierte danach noch irgendjemanden das Buch. Ein Reich-Ranicki konnte zwar hoffen, dass eine gute Dürrenmatt-Verfilmung die Leute dazu bringt, Dürrenmatt zu lesen, aber das zeigt nur, dass der Kerl vielleicht ein toller Literaturkritiker war, aber keine Ahnung von Filmen hatte. Ein guter Film muss zu allererst als Film überzeugen, egal ob er eine Adaption ist oder nicht.

Entsprechend ist eine gute Literaturadaption in Comicform ein zweischneidiges Schwert: Je besser man das ursprüngliche Werk hinter sich lässt, desto mehr wird die Geschichte zum Comic, desto gelungener ist die Adaption als Comic. Desto weniger hat sie aber unter Umständen mit der Vorlage zu tun. Besonders wenn die Vorlage ein sogenanntes Meisterwerk ist. Umgekehrt: Je näher am Original eine Adaption ist, besonders wenn das Original von der Sprache lebt, desto schlechter wird sie wahrscheinlich als Comic sein - und dann lohnt es sich eigentlich auch nicht, den Kram überhaupt zu zeichnen.

Allzu weit sollte man sich natürlich nicht entfernen, man soll das Original schon drin wiedererkennen. Aber wer ein Buch als Comic adaptiert, arbeitet schon von vornherein nicht mit den gleichen Mitteln wie der ursprüngliche Autor. Diese Mittel - eure, nicht die des Vorlagenautoren - müsst Ihr beherrschen und zur bestmöglichen Ausdrucksform der Idee des Orignals bringen. Es ist also nur natürlich, wenn das Endprodukt sich vom Original unterscheidet. Und je gelungener es in seiner neuen Form ist, desto weniger wird sich noch irgendwer dafür interessieren, dass es mal ein Original gab.

3. Die Leute werden immer sagen, dass das Buch besser war.

All das bedeutet, dass das Feuilleton-Lob, die Comics seien jetzt ganz doll literarisch, eigentlich eine Beleidigung ist. Damit werden nämlich genau die Aspekte eines Comics betont, denen es nicht gelungen ist, sich von der Vorlage zu lösen und als Comic zu überzeugen.

Aber seien wir ehrlich: Bei jeder Buchverfilmung kommt am Ende jemand an und beschwert sich, dass da viel fehlte und man das viel besser und werkgetreuer hätte machen sollen. Dazu genügt es schon, wenn man eine Lieblingsszene nicht genau so visualisiert, wie es der andere Rezipient beim Lesen im Kopf hatte. Selbst Leute, die im Prinzip wissen, dass ein Film andere Voraussetzungen hat als ein Buch, sind da nur zum Teil ehrlich und werden eben doch was vermissen.

Diesen Leuten kann man eigentlich nur eins entgegnen:

4. Das Original ist ja nicht weg!

Deine Adaption ist eine Deutung. Sie ist ein Interpretationsangebot, eine Diskussionsgrundlage und vielleicht sogar eine Einladung, es selber besser zu machen. Oder auf jeden Fall anders.

Na, dann diskutiert mal schön!

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