Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Dienstag, 9. Oktober 2007
Erst mal plotten, dann mal schreiben
Schreiben
So langsam habe ich den Handlungsverlauf für Connys neues Abenteuer im Griff. Ich habe gerade alles nochmal umgeschrieben, was allerdings radikaler klingt als es war. Im Wesentlichen habe ich nur das bisherige Skript abgetippt und dabei viel rausgeschmissen. Die bereits fertigen Passagen habe ich weitgehend übernommen und nur der Vollständigkeit halber getippt. Die anderen habe ich hin-und-hergeschoben, bis sie passten. Damit bin ich jetzt wieder bei 14 Seiten, nachdem es zuletzt ca. 17 waren.

Normalerweise schreibe ich sehr selten in reiner Skriptform. Früher habe ich die Comics in Form von Layoutskizzen geschrieben, inzwischen gehe ich schon textlastiger ran. Aber das "Full Script", in dem alle Dialoge und Wendungen stehen, ist nicht mein Ding. Dann eher die sogenannte Plot-First-Methode, in leicht abgeschwächter Form. Diese Methode erlaubt mir in jedem Stadium die größtmögliche Freiheit. Ich entwerfe den Plot, den Handlungsverlauf, gerade so detailliert wie nötig, dann zeichne ich. Die Dialoge setze ich als letztes ein. Das Timing ergibt sich beim Layouten (also noch vor dem Zeichnen, aber nach dem Schreiben), aber der Schreib- und der Layoutschritt überlagern sich auch manchmal. Der Vorteil dieser Methode ist (für mich), dass das Erzählen bildhafter bleibt. Wenn die Texte noch nicht realisiert sind, tragen sie auch die Geschichte nicht. Der Nachteil ist, wenn etwas nicht funktioniert, merkt man es erst beim Zeichnen. Oder danach. Das sind dann viel aufwendigere Fehler zum Korrigieren.

Manchmal schreibe ich, indem ich zeichne. Eine Szene, die dann in "Kreaturen der Nacht" verwendet wurde.

Beispiel für kombiniertes Skripten: Diese Text/Skript-Skizze hat irgendwann auch den Weg in die Reception-Man-Geschichte "Kreaturen der Nacht" geschafft.


Plot First und Full Script, das ist eine Unterscheidung, auf die Ihr bei Comicautoren immer wieder treffen werdet. Für mich ist das nicht so wichtig, weil ich meine Skripte selber umsetze, aber Autoren, die für andere schreiben, unterscheiden da je nach eigener Neigung, Neigung der Zeichner und Neigung der Herausgeber. Ja, auch die Verlage reden da gerne ein Wörtchen mit. Wie es heißt, tendieren sie inzwischen mehr zu Full Script, weil sich dabei leichter der Zeichner austauschen lässt, oder vielleicht, weil sich die Story eher kontrollieren lässt. Die Interpretationen sind da unterschiedlich.

Full Script ist genau das, wonach es klingt. Ein Skript, ähnlich dem Filmdrehbuch, mit mehr oder weniger detaillierten Anweisungen, was in welchem Bild zu sehen ist und wer was sagt. Diese Methode gibt dem Autoren die größtmögliche Kontrolle darüber, wie die Geschichte verläuft. Das ist nicht immer eine gute Sache, denn manche Autoren verstehen einfach nichts davon, was auf eine Seite passt. Ich habe schon Skripte gelesen, zugegeben meist von Amateuren, die jede Ahnung vermissen ließen, dass eine Seite auch irgendwann aufhört. Wo komplexeste Handlungsabläufe in einem Bild zusammengerafft wurden, weil die Autoren nicht wussten, was gleichzeitig funktioniert und was nicht. Die so voll Text waren, dass eh kein Platz mehr zum Zeichnen blieb. Noch so ein Problem: Unerfahrene Texter haben oft keine Ahnung, wann Text notwendig und wann er überflüssig ist.

Die Full-Script-Methode ersetzt für den Autoren nicht das grafische Vermögen. Nur wer gut visualisieren kann, was auf einer Seite passiert, kriegt das richtige Timing für einen Comic hin. Angehende Autoren, die diesen Text lesen, sollten sich dadurch nicht abschrecken lassen. Ihr müsst dafür nicht zeichnen können. Es reicht, ein paar Strichmännchen zu machen. Wichtiger ist es aber, viele Comics aufmerksam und analytisch gelesen zu haben.

Oder Ihr macht's wie Stan Lee. Der Marvel-Guru hat die Plot-First-Methode so berühmt gemacht, dass sie auch als Marvel-Methode bekannt ist. Der Mär nach hat er manchmal Skripte geschrieben wie "Spidey trifft auf Doc Ock. 20 Seiten kämpfen. Am Ende siegt Spidey", und der arme Zeichner durfte dann den Handlungsverlauf ausarbeiten. Am Ende musste Lee nur noch die Texte einsetzen. Diese Beschreibung ist sicherlich übertrieben, aber es stimmt, dass Lee nur den Plot, den Handlungsablauf, skizziert und die Entwicklung des Timings dann den Zeichnern überlassen hat. Am Ende dann die Texte, wo Platz war.

Der Vorteil ist, dass ein Zeichner wahrscheinlich am besten weiß, welchen Raum welche Handlung einnimmt. Der Nachteil ist, dass viele Zeichner selbstgefällige Angeber sind, die zwar die Action hinkriegen, aber keine Ahnung von Story-Struktur, Szenenfolge (ruhig vs. actionlastig, um nur eine sehr grobe Daumenregel in den Raum zu werfen) oder dramatischer Richtungsgebung haben. Wiederum: je mehr Du vom jeweils anderen Arbeitsbereich verstehst (also wirklich verstehst, nicht nur zu verstehen glaubst), desto besser.

Wenn ich mit anderen Zeichnern arbeiten würde (bis auf eine Entenstraßen-Folge habe ich das bisher leider nicht, deshalb der Konjunktiv), würde ich wahrscheinlich eher zur Full-Script-Methode neigen. Oder Full Script Light: Schon ein ganzes Skript, aber die letzten Dialogentscheidungen fälle ich dann doch erst, wenn die Zeichnungen fertig sind. Ich habe schon oft Dialoge rausgeschmissen, weil alles bereits viel deutlicher in den Bildern zum Ausdruck kam, als ich es mir vorher vorgestellt hatte. In "Regeln lernen" habe ich einen halbseitigen Monolog auf ein einziges Wort zusammengekürzt. In solchen Momenten liebe ich Comics. Also, mehr als sonst.

Da ich, wie gesagt, meine eigenen Skripts umsetze, muss ich mir nicht viele Anweisungen geben. Viele Szenen oder ganze Geschichten entstehen in einer Grauzone zwischen Prosa und Thumbnail-Skizze. Manchmal ist der graphische Seitenumbruch so detailliert, dass ich direkt von da zu den Thumbnails und von da zur fertigen Seite übergehen kann. Aber je komplexer die Story, desto mehr schreibe ich vorher. Und hin und wieder, wie in diesem Fall, ist es nötig, von der einen Form in die andere zu wechseln, weil man Story-Probleme dann aus einer anderen Perspektive betrachten kann.

Manchmal ist es dann plötzlich ganz leicht.

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