Letztes Wochenende machte
eine Bemerkung von Marvel Comics' Manager David Gabriel die Runde, die nach einer Tagung mit Comichändlern in Umlauf kam, Her zitiert nach der
Süddeutschen Zeitung, damit ich das nicht selber übersetzen muss:
"Uns kam zu Ohren, dass die Leute nicht noch mehr Diversität wollen. Sie wollen keine weiblichen Charaktere. Das haben sie gesagt, ob wir das glauben oder nicht."
Später merkte er dann wohl selber, dass er da was ziemlich Missverständliches gesagt hatte, und fügte hinzu, dass dies keineswegs das Ende für
Ms. Marvel oder gar
The Mighty Thor bedeute: "Wir haben auch von Läden gehört, in denen diese Figuren sehr gut laufen. Deshalb wollen wir sie auch künftig behalten, ohne unsere klassischen Superhelden zu vernachlässigen." (Was die Süddeutsche allerdings nicht davon abhält, das Ganze unter dem Titel
"Marvels Superheldinnen sind Ladenhüter" zu berichten.)
Also, erstmal: Sind sie nicht. Ladenhüter.
The Mighty Thor ist vielmehr die zweitstärkste Serie bei Marvel, und
Ms. Marvel zieht nach wie vor stark im Buchhandel. Vielmehr haben, wie
Comic Book Resources berichtet, die Heftverkäufe im letzten Herbst, nach dem letzten Großevent
Secret Wars, allgemein stark nachgelassen, weshalb wohl Marvel jetzt auch
die neue Einfachheit in den klassischen Serien sucht. CBR führt einige gute Gründe für diesen Einbruch an - etwa das Überangebot an neuen Serien, die Unübersichtlichkeit nach dem letzten Großevent und die Tatsache, dass mit dem Neustart der Serien danach eine Menge Abos ausliefen und nicht auf die neuen Serien übertragen wurden. Nix mit Diversität.
Aber in Krisenzeiten beruft man sich halt eher mal auf das, von dem man weiß, dass man es verkaufen kann. Es kann also sein, dass zumindest bei den Neustarts in Zukunft weniger Wert auf Diversität gelegt werden wird. Das wäre allerdings ziemlich kurzsichtig, denn 2011, als die Entscheidung für mehr Diversität fiel, stand Marvel auch nicht so toll da, und den Comicboom der Jahre dazwischen haben die neuen Titel ja nun wirklich nicht gerade gebremst. (Mal abgesehen davon, dass
The Mighty Thor und
Black Panther eben doch
ziemlich gut laufen.)
Wie sich Comics in den USA verkaufen
Kurz vor dem Absturz der Marvel-Heftverkäufe schrieb ich fürs
Comic! Jahrbuch 2017 einen Artikel über den Stand des US-Marktes mit besonderem Augenmerk auf die neuen Vermarktungsstrategien und gerade die Diversität bei Marvel. Gerade Marvel hatte es sich nämlich 2012 auf die Fahnen geschrieben, nicht-weißmännliche Superhelden auf die neuen Titel zu packen, und das mit teils großem Erfolg, sowohl finanziell als auch anerkennungsweise. Klar, so wie
Spider Man verkauft sich keiner dieser Titel, und man kann wie CBR beklagen, dass nur drei der Top Ten nicht weiß und männlich geführt sind, aber das sind immer noch drei mehr als 2011.
Ms. Marvels Autorin
G. Willow Wilson begründet den Erfolg mit der Spezifität, die Charaktere haben, wenn sie nicht "[default]" sind (denn die meisten Charaktere sind nicht gezielt weiß, sie sind es als "Standardeinstellung"). Ich denke, da hat sie recht. Ich liebe Ms. Marvel, weil sie Teenager und Muslima ist, aber noch mehr, weil sie so stolz auf Jersey City ist.
Aber im Lauf der Recherchen für den Artikel habe ich auch gelernt, dass Erfolg nicht gleich Erfolg ist. Und ich denke, das ist der Grund, weshalb es überhaupt jetzt eine Diskussion gibt. Um die Unterschiede zwischen Verkäufen hier und da zu verstehen, müssen wir beachten, dass es in den USA nicht einen Comicmarkt gibt, sondern vier: Den
Heftmarkt über den Comichandel, die
Trade Paperbacks im Comichandel, den
Buchhandel sowie
digitale Comics. Diese Märkte unterscheiden sich darin, welche Leser(innen) sie ansprechen und welche Comics die kaufen.
So überrascht es nicht, dass im Buchhandel Comics boomen, die im Comichandel gar nicht auftauchen, weil sie nicht bei Comicverlagen erschienen sind, wie die Graphic Novels von Raina Telgemeier. Auch Mangas werden in den USA eher über den Buchandel erfasst. Außerdem gehen hier Klassiker wie
Watchmen oder
Batman: A Killing Joke seit Jahren sehr gut, aber eben auch der New-York-Times-Bestseller (!)
Ms. Marvel.
Auch Trades unterscheiden sich von den Heften. Serien wie
Ms. Marvel und auch
Saga, das in den Top 100 der Hefte kaum vorkommt, führen hier die Hitlisten an. (
Saga besetzte 2015 gar fünf der Top Ten bei den Trades. Marvel gerade mal zwei.) Die gängigen Superhelden sind hier auch beliebt, haben aber nichts von ihrer Dominanz im Heftmarkt.
Digitale Comics sind bisher nicht so systematisch erfasst wie die Hefte, aber soweit Firmen wie ComiXology Einblick gewähren, scheinen sich die Verkäufe eher so zu verhalten wie bei den Trades.
Das Auge auf dem falschen Markt
In drei der vier Märkte sind diversere Serien also präsenter als im Heftmarkt. Die Gründe können vielfältig sein - die neuen Comics sprechen vielleicht jüngere Leser an, die lieber digital lesen, oder Frauen, die sich in den klassischen Comicläden unwohl fühlen. Neue Leser werden sich zunächst an den Angeboten orientieren, die sie kennen, und so einen Comicladen muss man erst mal finden. Wer also durch die TV-Adaptionen von
Supergirl oder
The Flash auf das Genre aufmerksam wurde (deren Fanbasis ist immerhin fast zur Hälfte weiblich), wird sich zum Lesen eher an Amazon halten als an den Comic Book Guy aus den
Simpsons.
Es sind aber genau diese Comichändler, auf die sich Gabriel in der eingänglichen Bemerkung bezieht, und sie sind es auch, deren Vorbestellungen in den regelmäßigen Diamond-Hitlisten erfasst werden, an denen sich wiederum die großen Verlage orientieren. Das Problem sind nicht die neuen Comics, sondern die alten Leser oder vielmehr die Tatsache, dass der direkte Comichandel eben nur einen Teil der Wirklichkeit abdeckt, der zudem immer weniger repräsentativ ist.
Dass sich die großen Verlage an den alten Lesern orientieren, die sie kennen und einschätzen können, ist sogar verständlich. Aber ein Zurück-zu-den-Wurzeln wäre genau die falsche Reaktion. Klüger wäre, Titel, die als Hefte nicht so gut laufen, als Trades und Ebooks aber schon, einfach direkt in den Buchhandel und auf den digitalen Markt zu bringen. DC hat das in Einzelfällen sogar schon gemacht - Serien wie
DC Bombshells liefen zuerst als digitale Comics, bevor sie dann als Sammlungen gedruckt wurden.
Natürlich ist eine solche Aufstellung über mehrere Märkte schwer umzusetzen und auch riskant. Man muss den Blick genau auf den Verkäufen haben, flexibel auf Schwankungen reagieren, vier Marktsegmente bedienen, von denen man nur eins wirklich kennt, ganz zu schweigen von den Komplikationen bei titelübergreifenden Eventcomics, die dann teils in Heften stattfinden würden und teils nicht. Aber es ist auf Dauer vielleicht praktikabler als die neuen Comics Leuten zu verkaufen, für die Iron Man nun mal Tony Stark heißt und Spider Man Peter Parker.