Heute blicken alle nach Washington, und wenn es nur in der vagen Hoffnung ist, Donald Trump würde sich vielleicht doch noch im letzten Moment als aus dem Ruder gelaufener Witz von Außerirdischen entpuppen oder so was. Ich gebe zu, ich kann das ebensowenig mitansehen wie weggucken. Was für andere das Dschungelcamp ist, das ist für mich wohl die US-Politik.
Bereits ein paar Tage nach der Wahl habe ich zu dem Thema einen Artikel geschrieben, den ich in einer überarbeiteten Fassung letzte Woche auch auf deutsch bei der Leseshow zur neuen Ausgabe des Bremer Magazins mo:no vorgestellt habe. Wer den Text ganz (und mit Cartoons) lesen will (und noch viel mehr tolles Zeug), kann das Heft hier bestellen oder natürlich Patreon-Unterstützer werden, dann gibt es den Artikel als Download. Der Artikel umfasst einige Gedanken, die auch im Zusammenhang mit diesem Blog interessant sind, über mögliche Perspektiven beim Versuch, Humor aus einer üblen Lage zu ziehen. Das habe ich ja bereits vor zwei Jahren nach dem Charlie-Hebdo-Attentat angefangen.
Ich wollte hier eigentlich eine gekürzte Fassung des Artikels vorstellen, und das schon letzte Woche zur Lesung. Naja. Ich halt. Stattdesen habe ich mir noch mal die Originalnotizen vom Dezember angeguckt. Da stand noch viel drin, das es am Ende nicht in den Artikel geschafft hat, das aber für Leser dieses Blogs vielleicht umso interessanter ist. Statt einer Kurzfassung des ganzen Artikels gibt es hier jetzt also die Langfassung eines Teils.
(...)
Am Tag vor der Wahl twitterte ich noch, Trump sei ein zu guter Witz und zu schlechter Politiker, um ihn als Thema zu ignorieren, aber wie verarscht man einen, der schon ein Witz ist?
Vielleicht nehme ich Humor zu ernst, aber erzählerisch betrachtet, ist Trump im Grunde nicht besonders lustig. Praktisch jeder Witz über ihn greift zu kurz. Immer wenn man sich etwas besonders Absurdes für ihn ausdenkt, hat er es gerade in vollem Ernst gemacht. Man kann ihn nicht über-
Trump-en.
Deshalb haben Komiker und Cartoonisten wahrscheinlich so oft versucht, ihn über die
Groteske zu kriegen und die Hässlichkeit zu betonen. Die kleinen Hände, der orange Teint, das unmögliche Haar – nichts davon ist wirklich, in sich und für sich,
witzig. Wer sich nicht eh schon entschieden hat, das lächerlich zu finden, wird von solchen Darstellungen nicht überzeugt werden. Wenn wir Satire als Versuch verstehen, die verborgene Wahrheit hinter dem Popanz zu zeigen, dann ist die Wahrheit hinter Trump immer nur noch mehr Popanz.
Vor der Wahl reichte das. Da brauchten wir es sogar, als Warnung. Jetzt brauchen wir andere Witze. Welche, die uns weiterbringen.
Zum Humor zurückfinden
In einem TED-Talk zeigt Bob Mankoff, Cartoonredakteur des
New Yorker, unter Anderem Cartoons aus der Ausgabe nach dem 11. September 2001. In einem sagt eine Frau zu einem Mann: „Ich dachte, ich würde nie mehr lachen können. Bis ich dann dein Jackett sah.“ Die Cartoons zeigen, wie schwer es war, nach dem Schock zum Humor zurückzufinden, aber sie finden ihn – in den kleinen Dingen.
Trump ist kein 9/11, aber heute wie damals ist das, was der strauchelnde Cartoonist am dringendsten braucht, zum Glück auch das, woran er ja eh arbeitet: Humor. Aber es gibt schwachen und starken Humor. Starker Humor wendet die Frustration und macht was Neues daraus. Er schafft eine Perspektive, mit der man die Welt betrachten und das auch aushalten kann. Schwacher Humor wirft einen nur wieder zurück.
Ich versuche, zu jedem Thema eine neue oder wenigstens unverbrauchte Perspektive zu finden. Dazu drehe ich es herum, betrachte es von verschiedenen Seiten. Ich nehme Abstand oder gehe ins Detail. Konzentriere mich auf einen Nebenaspekt. Suche den banalsten oder den erhabensten Ausdruck. Ich suche die Perspektive, die am besten das Lächerliche an der Situation betont. Und so ziemlich jede Situation hat irgendwo was Lächerliches. Das zeichne ich dann.
Postfaktisches Faxenmachen
Wenn ich über mögliche Cartoons nachdenke, richte ich sie fast nie an die Politik. Mehr an die Gesellschaft. Mich interessieren menschliche Verhaltensweisen einfach viel mehr als Politikergesichter. Da kommt der Soziologe in mir durch.
Ich frage mich: Was genau ist da eigentlich passiert? Nicht in Bezug auf das große laute Riesenbaby im Fernsehen. In Bezug auf uns, auf den Diskurs, die Öffentlichkeit, die Amis sowieso. Andere fragen sich das auch, deshalb reden ja plötzlich alle vom postfaktischen Zeitalter.
Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn die lauten, verwöhnten, selbstgefälligen Bullies auch noch Erfolg damit haben? Was macht es, wenn nicht mehr politische Inhalte, sondern markige Pöbeleien - und geben wir's ruhig zu, die haben auch wir uns besser merken können als die Inhalte - den Ausgang der Wahl bestimmen? (Nicht dass das neu wäre. Ein bisschen was Affekthaftes hatten Wahlen ja schon mindestens, seit man sie im Fernsehen verfolgen konnte.)
Die Wahl ist vorbei, schon deshalb ist Trump für mich witzlos geworden. Mich interessiert, was jetzt kommt. Und nicht für Amerika. Für jeden von uns.
Das Postfaktische kommt ja nicht erst mit Trump und den Trollen, die sich durch ihn ermächtigt fühlen. Es war schon in den Fox News der Bush-Ära dominant, und das war nicht irgendeine Verschwörungstheoretikerwebseite, sondern ein Mainstream-Fernsehsender. Trump selber ist der legitime Erbe der Tea Party, die seit Obamas Amtsantritt die Verhaltensweisen und das Temperament eines verwöhnten Vierjährigen in der Politik etabliert hat. Also genau das, was Trump jetzt personifiziert. Als hätten sie ihn heraufbeschworen.
Neu oder zumindest anders ist immerhin, dass man sich bei der Auseinandersetzung darüber nicht mehr auf Fakten berufen kann. Also, kann man schon, es bringt nur nichts. Die Vorstellung, dass man dem falschen politischen Argument nur mit den unwiderlegbaren Fakten zu begegnen brauchte, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, stimmte wahrscheinlich so nie, aber sie bestand zumindest als Ideal. Jetzt scheint es, als würden wir mit den Leuten in der jeweils anderen Filterblase nicht mal mehr die sprachlichen Voraussetzungen teilen, um uns auf etwas zu verständigen.
Sind das überhaupt noch Lügen? Setzen Lügen nicht auch irgendwie eine Wahrheit voraus, deren Gegenteil sie sind? Was ist das, wenn es nicht nur nicht stimmt, sondern zudem nicht mal mehr die Wirklichkeit teilt, vor der es nicht stimmt?
Das erfordert neue Argumente. Man kann den "Post-Truthers" endlos die Wirklichkeit zu deren Behauptungen vorlegen, die Fakten prüfen und die Lügen entlarven, aber die werden das nicht mal hören. Höchstens werden sie es als irgendwie auch wieder gelogen abtun, aber wahrscheinlich sind sie zu dem Zeitpunkt eh schon ganz woanders, bei der nächsten oder übernächsten Lüge, äh, "Post-Wahrheit". Und wir abreiten ihnen auch ncoh zu, indem wir uns an den Lügen von vorgestern abarbeiten.
Wie das politische Argument oder der wissenschaftliche Essay brauchen Cartoons eine geteilte Wirklichkeit, vor der sie ihr Zerrbild als Kontrast aufbauen können. Wer sich aus der gemeinsamen Wirklichkeit verabschiedet, wird den Witz entweder nicht kapieren oder nicht als Witz identifizieren.
Wo ich gerade dabei bin, herumzusoziologisieren, kann ich auch gleich meinen Baudrillard aus dem Theorieregal holen. Der hat schon in den Siebzigern und Achtzigern irgendwie das Postfaktische vorweggenommen. (So viel zu der Frage, wie neu das eigentlich ist.)
"Ich bin nicht mehr in der Lage, etwas zu 'reflektieren', ich kann lediglich Hypothesen bis an ihre Grenzen vorantreiben, d. h. sie der Zone entreißen, in der man sich kritisch auf sie beziehen kann, und sie an den Punkt kommen lassen, nach dem es kein Zurück mehr gibt; ich lasse auch die Theorie in den Hyperraum der Simulation eintreten - sie verliert darin jede objektive Gültigkeit, gewinnt aber vielleicht an Zusammenhalt, d. h. sie gleicht sich dem System an, das uns umgibt."
- J. Baudrillard, Das Jahr 2000 findet nicht statt, Berlin 1990
Anders als der politische Diskurs können sich Cartoon und Satire den Unterschied zwischen Objektivität und Blödsinn zunutze machen, statt ihn überbrücken zu müssen. Die Absurdität auf die Spitze treiben, die Argumente der Post-Faktiker als den irrwitzigen Schwachsinn entlarven, der sie sind. Und wenn sie's nicht kapieren. Umso besser, wenn sie's erntsnehmen und möglicherweise teilen. Können sie sich gleich noch lächerlicher machen.
Das ist übrigens auch nicht neu - ich versuche das seit zwei Jahren mit meinen Pegida-Witzen.
Deshalb habe ich eigentlich nicht mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich jetzt nicht den ultimativen Trump-Cartoon aus dem Hut zaubern kann. Was hilft mir der, wenn es im nächsten Jahr um Marine Le Pen geht, um Geert Wilders und wer auch immer bei der AfD im September noch übrig ist?
Es war auch viel die Rede davon, bis zu den Wahlen in Europa 2017 die richtige Sprache zu finden, um die Protestwähler aus ihren Echokammern zu holen. Damit sich der Trend von 2016 nicht fortsetzt.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Parteien da so die richtigen für sind. Es gibt ja schon seit Jahren einen Trend zum zwar politischen, aber eben nicht parteipolitischen Handeln. Wenn man gegen die Scheinlösungen der Extremparteien nicht ankommt, liegt das vielleicht nicht ausschließlich daran, dass man mit Postfaktoten nicht reden kann. Im Gegenteil, spätestens wenn man das Wort zusammen mit dem Begriff "Zeitalter" benutzt, wird es zur Floskel. Und ehe wir's uns versehen, wird "postfaktisch" zum neuen "Du hast recht und ich meine Ruhe".
Aber egal. Wir brauchen alle unsere Strategien, um den Schock zu verarbeiten. Die einen suchen nach der richtigen politischen Strategie, ich nach dem richtigen Witz.
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Der Artikel "Der Witz nach dem Schock", aus dem Teile dieses Beitrags stammen, ist erhältlich in mo:no no. 1 oder als Download für Patrons. Ehrlich, ich kann das gar nicht oft genug sagen...