Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Donnerstag, 24. März 2016
Helden im Zwielicht
Inspiriertwerden
Letzte Woche ist bei Netflix die zweite Staffel von Daredevil herausgekommen, und heute läuft im Kino Zack Snyders 3D-Prügelei Batman V Superman an. Ich bin mir bei beiden nicht so sicher, ob ich sie sehen will. Für beide gibt es gute Gründe (z. B. Wonder Woman), aber je mehr ich über beide höre, desto mehr glaube ich, die sind einfach nicht für mich.

Beide Verfilmungen scheinen mir eine Erwartung zu erfüllen, die das Superheldengenre mal vor 20-30 Jahren aufgestellt hat, mit The Dark Knight Returns und so was. Damals waren diese düsteren, härteren Antworten auf das allzubunte und sorglose Superhelden-Genre willommen und notwendig. Alan Moore verglich 1987 im Vorwort zu Neil Gaimans Violent Cases (bei Carlsen, glaub' ich) den Comic mit einem rotzigen Kind, das in die Pubertät kommt und "unangenehme Fragen über Sex und Politik stellt, ungewohnt eindrucksvoll Stellung bezieht und sich in Farben kleidet, in denen niemand über 25 beerdigt werden möchte."

Danach gab es erstmal eine Phase, in der die Superhelden vor allem brutaler und sexbesessener wurden und seltsame Vorstellungen von Männer- wie Frauenkörpern propagierten. Pubertät halt. Inzwischen gibt es neben Serien wie The Boys, die diese Brutalität aufs Korn nehmen, auch wieder positiver besetzte Superheldencomics wie Ms. Marvel, die auch unangenehme Fragen stellen, aber ohne diesen Zynismus der brutaleren Serien.

Im Film waren Superhelden eher von der quietschbunten Sorte, bis Marvel anfing, seinen Laden aufzuräumen und ein ernstzunehmendes Marvel Cinematic Universe herauszuhauen. DC hing ein bisschen hinterher, aber Christopher Nolans Batman-Reihe gab dann den Ton vor für ernstere, düstere Action. Zack Snyders Man of Steel stammt aus derselben Schmiede und versuchte, den ewig unterschätzten Pfadfinder Superman ähnlich ernsthaft und düster aufzubereiten. Was allerdings den Fans dann doch zu viel war, denn gewisse Dinge funktionieren einfach nicht.

Hier ist das Ding mit Superman: Oberflächlich betrachtet, ist er eine ziemlich langweilige Figur, halt dieser ewige strahlende Held, der alles kann. Und gut ist. So unerträglich gut! Aber wenn Ihr mal ein paar der besseren Superman-Geschichten lest - hier sind ein paar Empfehlungen von Comic.de, hier meine eigenen -, könnt Ihr sehen, dass gerade in diesem unbedingten Gutsein eine Stärke liegt. Superman könnte ein brutaler Bully sein, der Recht und Ordnung mit Gewalt durchsetzt. Aber er entscheidet sich, das genau nicht zu tun. Den Menschen zu dienen statt sie zu beherrschen. Und nimmt dafür in Kauf, nicht ernstgenommen zu werden. Sogar Batman macht Witze über ihn, und der hat - das ist Kanon - ansonsten überhaupt keinen Humor.

Es gibt keine langweiligen Charaktere. Es gibt nur langweilig geschriebene. Und zu Superman ist über die Jahre vielen Autoren nichts wirklich Überzeugendes eingefallen. In den Händen von Autoren wie Mark Waid, Grant Morrison und Kurt Busiek wird aber aus dem Pfadfinder ein ernstzunehmender Held. Ganz ohne dunkles Kostüm und Farbreduzierung und Bösewichter umbringen.

Daredevil hat als Teil des MCU kein solches Legitimationsproblem. Hier scheint es eher darum gegangen zu sein, nach den Filmen und den Mainstream-TV-Serien noch ein drittes Spielbein aufzubauen, das gewagter und erwachsener sowie (ihr ahnt es) ernsthafter und düsterer daherkommt. Vor allem düsterer. Bei den späten Daredevil-Folgen musste ich die Farbeinstellungen meines Players ändern, um überhaupt was erkennen zu können.

Vor allem aber ist der TV-Daredevil brutal. Unangenehm. Und, wie das bei Netflix-Serien wohl so ist, langsam. Dieses Ding mit dem Plot, der über eine ganze Staffel geht? Ich habe noch keine solche Story gesehen, die nicht auch ein, zwei Stunden kürzer gegangen wäre.

Aber das ist nur meine Meinung. Daredevil wird von allen Seiten mit Lob beschmissen, auch und gerade die zweite Staffel. Noch düsterer, noch brutaler, noch "erwachsener".

Nur, ganz ehrlich? Ich denke bei düster und ernst und brutal nicht an "erwachsen". Ich sehe da immer noch den rotzigen Teenager, der seine Grenzen austestet und endlich von den Großen für voll genommen werden will. Aber dieser Bengel beantwortet keine Fragen, er stellt sie nur und gibt sich dann bockig. (Netflix' zweite Serie, Jessica Jones, schafft es durch die Themenwahl und ansprechendere Charaktere übrigens besser, das Versprechen des Für-Erwachsene-Seins einzulösen. Und man sieht alles.)

Zugleich gibt es im Fernsehen eine ganze Reihe Mainstream-Serien, die eine ziemliche Bandbreite von einigermaßen düster (Arrow) und komplex (Agents of SHIELD) bis leicht und positiv (The Flash, Supergirl) abdeckt. In dieser breiten Auswahl finde ich mich immer mehr auf der Seite von Leichtigkeit und Komplexität als von düster und hart. Supergirl und The Flash haben als Serien so ihre Probleme, aber beide zeigen das Superheldending als etwas, das auch Spaß macht, ohne dabei allzu sorglos zu werden. Die Heldentätigkeit hat ihren Preis. Und gerade im Kontrast zum sonstigen Humor und der Leichtfüßigkeit kommen diese Schattenseiten erst recht zur Geltung.

Agents of SHIELD schafft es in der Zeit, uns mit einer durchgehenden Handlung auf Trab zu halten, die komplexer als alles ist, was uns die handelsübliche Prestige-Miniserie so bieten kann. Die Macher vergessen aber nicht, dass man noch jede einzelne Folge gucken wollen muss, und dass das Ganze auch Spaß machen aoll.

Die Frage ist, was wollen wir, das unsere Helden für uns darstellen? In der einen Ecke haben wir Inspiration und Unterhaltung und den ständigen Kampf ums Gutsein. In der anderen Ecke haben wir Dekonstruktion und Zynismus und eigentlich keine Helden, sondern die Psychopathen, als die sich die Helden entlarven. Das sind wei völlig verschiedene Geschichten, zwischen denen es auch Abstufungen gibt (Agent Carter), die sich aber nicht vereinbaren lassen. Zack Snyder hat neulich gesagt, dass Grant Gustin als Flash einfach vom Ton her nicht in seinen JLA-Film passen würde. Da hat er nicht unrecht. Die Frage ist nur, ob Gustins Flash tonal danebenliegt oder Snyders JLA.

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