Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Freitag, 26. Februar 2016
Mehr Mimimi: Fuckscheißcomics
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Die Webcomic-Kollegen Jeff Chi und Tim Gaedke haben gerade einen neuen Tumblr aufgemacht: Fuckscheißcomics ist eine Seite, auf der Nutzer anonym ihre Kritik an Comics, der Szene und so weiter loswerden können. Entstanden ist die Idee aus einer Twitter-Diskussion darüber, dass der Comicjournalismus in Deutschland als zu harmlos wahrgenommen wurde.

Ich muss sagen, ich hatte nie ein Problem, meinen Namen unter eine Kritik zu setzen. (Eher ist mir manchmal der Name der Publikation peinlich, in der das passiert.) Ich finde auch, dass die deutsche Szene viel zu klein ist, um solche Grenzen zu ziehen. Ich lege aber auch Wert darauf, dass meine Kritik entsprechend begründet ist. Und sachlich bleibt.

Aber ich habe auch Foren, in denen ich meine Kritik an Dingen und Comics einigermaßen ungestraft äußern kann. Das PANEL hat sich nie von potenziellen Anzeigenkunden beeindrucken lassen, und hier im Blog nenne ich vielleicht mal einen Namen nicht, um niemanden reinzureißen, habe aber nie das Gefühl, irgendwas nicht sagen zu können, das mir auf der Seele brennt.

Sind wir zu lasch? Oder einfach zu wenige?

Die jüngste Diskussion ist nur die aktuellste in einer ganzen Reihe von Twittereien in letzter Zeit, in der es um zu laschen, der aktiven Szene zu nahen Comic-Journalismus geht - so wurde etwa vor einigen Monaten kritisiert, dass in den Listen von "besten Comics des Jahres" im Tagesspiegel Leute Comics aus ihren eigenen Verlagen genannt hatten.

Das sind alles Symptome einer Comicberichterstattung, die in Deutschland anscheinend entweder zu nah an den Verlagen und Künstlern ist (oder so wahrgenommen wird) oder zu weit davon weg. Zu nah, wenn Comicschaffende sich über die Kollegen äußern. Nicht nur weil einige dieser Kollegen angeblich Kritik nicht abkönnen, sondern auch weil man ja nur voreingenommen sein kann, wenn die ganze aktive Comicszene Deutschlands in eine einzige Party alle zwei Jahre passt. Zu weit weg, weil die Feuilletons der Nicht-Fachpresse immer noch gerne ihre eigene Unbeflecktheit im Kontakt mit dem Medium vor sich hertragen.

Über Jahre fingen Comicrezensionen in Breitenmedien an mit "ich lese ja sonst keine Comics, aber…" oder einem Abriss darüber, wie lächerlich man normalerweise das Genre findet. Dein Hintergrund als Kritiker, lieber Kritiker, interessiert aber keine Sau. Heute scheint diese Art der Einleitung einem Lob darüber gewichen zu sein, wie erwachsen und anschlussfähig an "echte" Literatur der Comic inzwischen sei, vor allem wenn es um Literaturadaptionen geht. Über das Missverständnis, Literaturadaptionen für irgendwie besonders literarisch zu halten, habe ich mich ja bereits an anderer Stelle ausgekotzt.

Das Problem auf der anderen Seite, beim Comicjournalismus aus der Szene heraus, ist halt die Nähe zur Szene. Aber die ist nicht zu vermeiden. Die deutschsprachige Szene ist einfach zu klein, um ganz auszuschließen, dass man die Leute, über die man schreibt, kennt und teils mag. (Zu nett ist sie auch.) Oder mit ihnen im selben Verlag erscheint: Oberhalb einer gewissen Größenordnung gibt es in Deutschland nun mal nur drei Verlage.

Kritische Kritik der Kritik

Ich komme aus einem Stadtstaat, da haben wir das gleiche Problem. Ehe man sich's versieht, hat man überall Gemauschel und Filz. Oder man verhält sich einfach professionell. Lässt Freundschaften Freundschaften sein und Geschäftsbeziehungen Geschäftsbeziehungen, selbst wenn's mit denselben Leuten ist. Deshalb traue ich mir zu, auch zum Comic eines befreundeten Zeichners eine kritische Kritik zu schreiben. Vorausgesetzt, ich bleibe bei der Sache und weiß, was in eine Kritik gehört und was nicht.

Muss man natürlich auch abkönnen. Als der erste Conny-Van-Ehlsing-Band bei Splashcomics verrissen wurde, waren einige Zeichnerfreunde sauer und verstanden nicht, dass ich das eher sportlich gesehen habe. Aber wenn man bei den großen Kindern mitspielen will, wird's halt manchmal etwas rau. Zudem las ich besagte Kritik wahrscheinlich positiver als die Wertung vermuten ließ: Man merkte dem Text an, dass der Autor dem Comic bei jedem Drüberlesen mehr abgewinnen konnte. Nur von der ursprünglichen Wertung wollte er halt nicht ab. (Unprofessionell, nicht?)

Ein anderes Problem mit dem Journalismus aus der Szene ist, dass die Schreibenden oft keine Journalisten sind, sondern selber Comiczeichner oder Fans. Die verstehen etwas von Comics, aber möglicherweise nichts vom Kritisieren.

Kritik hat im Grunde genau zwei Fragen zu beantworten:
1. Was will dieses Werk erreichen?
2. Wie gut gelingt ihm das?
(Bonusfrage: Wie relevant ist das im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Kultur um das Werk herum?)

Wenn die Kritik ein Urteil spricht, dann nur im Rahmen der zweiten Frage. Das kriegen aber viele ungeübte Kritiker nicht hin und fangen schon vorher an. Vor allem Genrekunst wird erstmal danach beurteilt, welchem Genre es angehört. Wenn der Rezensent den üblichen Bullshit über zum Beispiel das Superheldengenre teilt, dann hat der Superheldencomic, den er beurteilen soll, schon mal schlechte Karten. Die Qualität des Comics wird dannn nämlich nur noch daran bemessen, wie gut er von den - bereits falschen - Genreerwartungen abweicht. Wer dagegen zu sehr Fanboy ist, kann das Eigene des Comics nicht unbedingt gut beurteilen. Eine kluge genre-literate Kritik würde würdigen, ob und wie gut der Comic die Genrekonventionen nutzt oder bricht, um seine Aussage zu treffen, und was er über die Genrezugehörigkeit hinaus, als individuelles Einzelwerk, zu sagen hat.

Ich habe oft aus guten Film-oder Buchkritiken einen umfassenden Eindruck davon gekriegt, ob der Film oder das Buch etwas für mich ist oder nicht - übrigens unabhängig davon, ob die Kritik positiv war oder ein Totalverriss. Wenn eine Kritik etwa lobt, wie feinfühlig und ausführlich ein Werk das Problem der Kindesmisshandlung zur Nazizeit beschreibt, dann weiß ich schon, das ist nichts für mich, egal wie gut die Geschichte in sich sein mag.

Brauchen wir mehr Mimimi?

Wenn es in der deutschen Szene Machtverhältnisse und Mimosentum gibt, die eine offene Auseinandersetzung behindern, habe ich das, ehrlich gesagt, nicht mitgekriegt. Andererseits, wenn andere sagen, das gibt es, kann ich dem auch nichts entgegenhalten. Und wenn Leute das Gefühl haben, sich nicht am Diskurs beteiligen zu können, aus Angst vor schlechtem Ansehen und Nestbeschmutzervorwürfen, kann ich ihnen das natürlich auch nicht in Abrede stellen.

Was auf keinen Fall schaden kann, ist der darin erhaltene Appell an den Comicjournalismus, die eigene Professionalität immer wieder zu prüfen und zu stärken. Zwischen allzu undifferenziertem Fanjournalismus und allzu ahnungslosem Distanzjournalismus ist viel Platz für wirklichen Qualitätsjournalismus, und einige Redaktionen und Blogger kriegen das ja auch schon prima hin. Ein bisschen Hofberichterstattung wird wahrscheinlich immer übrig bleiben, denn es gibt ja auch immer Leute, die das erst noch lernen und ihre Position in unserem kleinen Stadtstaat finden müssen. Plus, als Auch-Fan schreibt man halt positiv über das, was man mag.

Ob mehr anonyme "Kommentare, Kritik, Gemecker und Mimimi" nun die Lösung sind, die diesen Journalismus schärft und voranbringt, bleibt abzuwarten. Die ersten Reaktionen (bei Facebook) waren gewohnt zerredsam, und bisher ist in dem Blog auch nichts weltbewegendes gepostet worden. Ich jedenfalls denke, es kann nicht schaden, den Comicdiskurs ein bisschen aufzumischen. Den ursprünglich geplanten Totalverriss meiner Comics werde ich aber erstmal trotzdem nicht schreiben. Ich will da nicht der Vorreiter für einen allzu trolligen Ton werden.

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