Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Sonntag, 24. Januar 2016
Bowie's in Space
Inspiriertwerden
Warum Bowie fehlt...
Promis nachzutrauern ist nicht so mein Ding. Normalerweise würdige ich ihre Leistung noch einmal, indem ich mir meinen Lieblingsfilm oder mein Lieblingsalbum in andächtiger Ruhe zu Gemüte führe, retweete vielleicht den einen oder anderen Tribut, der mir gefällt, und schaue dann weiter nach vorne, auf die sich ständig verändernde Kultur der Gegenwart und den Fluss der Impulse, der mich mit Sicherheit auch immer wieder an meinen alten Helden vorbeiführt. Aber ich bleibe da nicht lange stehen. Nostalgie ist auch nicht so mein Ding.

Aber das hier ist David Bowie.

Ganz andere Liga.


In den Wochen vor Bowies Tod habe ich ein Magazin mit dem Motto "verschwende deine Jugend" zusammengestellt, vielleicht musste ich deshalb seitdem oft an meine eigene Jugend denken, in der ich Bowie viel gehört habe, ohne mir seiner Bedeutung wirklich bewusst zu sein. Als er mitte der Achtziger wirklich allgegenwärtig wurde, war es mir erstmal genug damit. Ich war zu der Zeit sehr ungeduldig gegenüber aktueller, oder besser mittelaktueller, Musik. Ich wollte das Neue Große Ding nicht nochmal und nochmal hören - wenn das Ergründen für mich erledigt war, dann fing's meistens sehr schnell an zu nerven. Stattdessen wandte ich mich - mangels Internet, wo ich die ganz neuen Dinge hätte finden können - älterer Rockmusik zu. Die war zwar noch verbauchter, aber es gab so viel mehr davon. Bis das dann auch zur Sackgasse wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bis heute habe ich mir diese kulturelle Ungeduld bewahrt. Und den damit einhergehenden Sonderling-Status wohl auch. Bowie wäre für diese Zeit eigentlich genau der richtige Einfluss gewesen. Und ein paar Jahre nach "Labyrinth" und "Dancing in the Street" konnte ich mich ihm auch wieder ohne Bauchweh annähern. Erst in den Neunzigern lernte ich ihn deshalb so richtig würdigen.

Bowies Musik hatte immer diesen Geschmack von etwas, das in einem durchgeknallten Paralleluniversum der kommerziellste und eingängigste Gegenwartssound sein mochte, hier aber nie so richtig ins Koordinatensystem der Hitmaschinerie passte. Erst dadurch, dass Bowie sie machte und damit Erfolg hatte, wurde sie Teil dieses Koordinatensystems und veränderte es. (Eigentlich sollte man keine Sternenkonstellation nach Bowie benennen, sondern ein supermassives Schwarzes Loch, denn Bowie hatte seine eigene Schwerkraft. Er konnte die Topografie der Musiklandschaft verzerren wie sonst kaum jemand.) Ebenso wie seine poppigere Musik immer ein wenig "daneben" klang, war seine experimentellere Musik immer seltsam eingängig. In dieser Hybridhaftigkeit lag seine Spannung.

Eins meiner Lieblingsalben, Scary Monsters, soll Bowie mit dem gezielten Vorsatz gemacht haben, mal wieder eine richtig kommerzielle Platte einzuspielen. Ich mag es, mir beim Hören von Robert Fripps kreischenden Gitarren vorzustellen, wie ein Mensch denken muss, für den das ein kommerzieller, gefälliger Sound ist.

Bowie schien immer einen Schritt weiter zu sein als alle anderen, immer schon am nächsten aufregenden Ding dran. Oft schien er dieses nächste Ding selber hervorzubringen oder aus seinem Paralleluniversum herüberzuziehen. In Wirklichkeit stimmt wohl eher der erste Eindruck. Bowie war kein Genie im Sinne eines alles aus sich schöpfenden Geistes. Er war ein Verarbeiter, ein Sammler, ein Remixer. Ein Geist, der eben nicht in sich ruht, sondern alles aufsaugt, das ihm einen neuen Impuls gibt. Nicht zufällig sind seine größten musikalischen Leistungen Kollaborationen. Der Einfluss seiner musikalischen Partner, allen voran Tony Visconti und Brian Eno, aber auch der Sound seiner jeweiligen Gitarristen von Carlos Alomar und Robert Fripp über Stevie Ray Vaughan zu Tin Machines Reeves Gabrels, hat immer seinen Sound mitbestimmt. Auch deshalb gibt es keinen Bowie-Sound, bei dem man stehenbleiben kann. Er wandelte sich nicht nur ständig, es war auch nie ganz seiner.

Das sind die Lektionen, zu denen uns Bowie inspirieren kann: Nicht beim Geleisteten stehenzubleiben. Neugierig auf alles wirklich Neue zu bleiben und keine Angst davor zu haben, es zum Teil unseres eigenen Universums zu machen. Und ehrlich zu bleiben, was die Herkunft dieser Elemente angeht. Selbst die durchgeknalltesten Ideen kommen nie ganz aus uns heraus. Sie sind immer schon Teil der Welt, und wir geben nur unsere Version davon zurück.

Suche das Neue, aber hüte dich davor, es als Niedagewesen zu fetischisieren. Gute Daumenregel.


Normalerweise, wenn Promis sterben, die ich gut fand, würdige ich ihre Leistung noch einmal, indem ich mir meinen Lieblingsfilm oder mein Lieblingsalbum in andächtiger Ruhe zu Gemüte führe, retweete vielleicht den einen oder anderen Tribut, der mir gefällt, und schaue dann weiter nach vorne. Bowies Schwerkraft hat auch das für mich verzerrt - im Grunde höre ich seit zwei Wochen nichts anderes als Bowie. Das hat schon vor seinem Tod, mit der Veröffentlichung seines sensationellen letzten Albums, angefangen, aber natürlich hat die erschütternde Nachricht das extrem verstärkt. Ich hatte einfach noch nicht wieder Lust auf was anderes, und es gibt so viel von ihm. Mir ist die Ironie bewusst: Gerade einen Bowie würdigt man am besten, indem man rausgeht und sich ein Konzert von irgendeiner total unbekannten Band anhört, die etwas nie Dagewesenes mit Gummibändern und Kettensägen macht. Und natürlich, indem man sein eigenes Spiel weiter aufmischt und neue Dinge wagt.

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