
Heute geht's mal um Krimis. Vor genau 125 Jahren wurde die große alte Dame des Whodunit geboren, Agatha Christie. (Naja, groß, alt und Dame wurde sie erst später. In nicht ganz der Reihenfolge.) Außerdem schreibe ich gerade selber so was und mache mir seit einiger Zeit Gedanken um dieses Genre, also liegt's nahe.
Krimis sind so allgegenwärtig, dass sie immer auch ein bisschen altbacken wirken, jedenfalls die gradlinigen Whodunits, wie Christie sie geschrieben hat. Krimis haben etwas Vertrautes, fast Heimeliges, was sich auch in der Beleibtheit einiger Ermittler wie Nero Wolfe und Hercule Poirot ausdrückt. Vielleicht sind Krimis deshalb im deutschen Fernsehen so beliebt, im Gegensatz zu den meisten anderen Trivialgenres. Stichwort "Tatort". Allerdings habe ich gerade da oft das Gefühl, die Autoren sind sich zu schade, einen richtigen Krimi zu schreiben, und wollen lieber Sozialdrama, nur hat ihnen jemand gesagt, da muss noch ein Mord rein. Und noch öfter habe ich den Eindruck, sie beherrschen das Krimihandwerk nicht besonders gut.

Was einen guten Krimi ausmacht, ist seine Nachvollziehbarkeit. Abgesehen von den ersten paar Begegnungen, mit denen die Figuren in die gemeinsame Geschichte geworfen werden, darf eigentlich nichts dem Zufall überlassen sein. Alles muss sich aus diesem Anfang ableiten lassen, und alle Indizien sollten möglichst durch Detektivarbeit aufgedeckt werden und nicht durch Zufälle, plötzlich auftretende Informanten oder weil sich jemand verplappert. Das wäre unbefriedigend, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist es unberechenbar und damit nichts, das wir beim Gucken oder Lesen nachvollziehen können. Und zweitens ist es für eine gute Geschichte unablässig, dass alle Figuren gut in dem sind, was sie tun. Der Detektiv muss gut im Ermitteln sein, der braucht keine Zufälle. Und der Verbecher muss gut im Verwischen seiner Spuren sein, sonst ist das keine Herausforderung. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, erscheinen die Figuren inkompetent und damit uninteressant.
Eine besondere Schwierigkeit beim Schreiben von Whodunits ist, die klassische Aufteilung aufrechtzuerhalten zwischen Zeigen (also Handlungen darstellen, die in der Gegenwart der Story passieren und sie weiterbringen) und Behaupten (also durch Exposition und beschreibende Dialoge, die in Wirklichkeit auch nur Exposition sind, die Geschichte voranzubringen). Denn gerade in Mordgeschichten besteht ein großer Teil der Spurensuche darin, Leute danach zu befragen, was sie in der Vergangenheit, nämlich zur Zeit des Mordes und davor, gemacht haben, und die Antworten sind wichtig, aber dramaturgisch uninteressant, wenn sie nicht in der Gegenwart auch Handlungen sind. Dieses Problem ist im Grunde nicht aufzulösen, man muss irgendwie drumherum arbeiten, etwa durch entsprechende Stückelung der Aussagen oder indem man während dieser Dialoge noch etwas anderes passieren lässt. In visuellen Medien kann man auch viel mit Rückblenden machen, aber die sind nicht wirklich Teil der gegenwärtigen Handlung und deshalb eigentlich geschummelt.
Der Krimi, an dem ich gerade arbeite, ist kein Whodunit, auch wenn es Elemente davon gibt. Angelegt habe ich "kriminelle Energie" als Gaunergeschichte in der Tradition der
Ocean-Filme oder von Serien wie
Leverage,
Hustle und
Gauner gegen Gauner. Weil ich diese Serien mit ihrer schrägen Moral liebe, und weil es kaum Comics in der Richtung zu geben scheint. Inzwischen weiß ich auch warum: So was ist
sauschwer zu schreiben.
Da ist vor allem natürlich das Verbrechen im Mittelpunkt. Es ist relativ leicht, einen Einbruch zu schreiben, aber einen Con, einen groß angelegten Betrug, bei dem die Gauner sowohl der (nachvollziehbar kompetenten) Polizei, einer (nachvollziehbar gefährlichen) konkurrierenden Gaunerbande und den (durch langjährige Krimilektüre besonders kompetenten und gefährlichen) Lesern einen Schritt voraus zu sein, ohne dass die Spannung nachlässt - das ist ein Balanceakt auf einem besonders spitzen Dachgiebel. Aber das ist nicht das eigentliche Problem.
Da sind vor allem die Gauner selber, und ihre Motivation. Die muss auch für die ehrlichen unter meinen Lesern nachvollziehbar sein, aber ich wollte auch nicht wie so viele Autoren vor mir "White Hats" aus meinen Antihelden machen - reformierte Verbrecher, die nur noch die Bösen ausrauben und möglichst noch den Guten dabei helfen. Vor allem bei
Leverage gehört das zum Mission Statement, aber auch bei der
Gentlemen GmbH oder bei
Modesty Blaise.
Hustle entwickelt sich im Lauf der Zeit da hin. Und ich verstehe, wieso. Eine solche Motivation bedarf keiner weiteren Erklärung.

Im Mittelpunkt meines Krimis steht der Einbruch bei einem Antiquar und Hehler. Der hat meiner Version von Danny Ocean mal eine Gefängnisstrafe eingebrockt, und deshalb fällt der Verdacht jetzt auf diesen. Also alle üblichen Motivationen - Rache, der Antiquar ist kein Guter, und der Antiheld will sich selber reinwaschen. Leider geht diese Motivmischung nur zu dem Preis, dass die Polizei ihren Job nicht besonders gut macht, wenn sie sich auf "Ocean" konzentriert.
Ferner kann auch die konkurrierende Bande nicht besonders gut sein, denn erstens misslingt der Einbruch und zweitens muss sie sich von meinen Antihelden an der Nase herumführen lassen. Ich habe dafür inzwischen eine gute Grundlage gefunden - sie sind jeweils gut in ihren Teiljobs, aber insgesamt kein gutes Team -, aber die bringt wiederum andere Motivationsschwierigkeiten mit sich, namentlich die Frage, warum (außer Gier, und Gier ist langweilig) jemand bei der Bande würde mitmachen wollen.
Der Con, auf den das alles hinausläuft, ist in den groben Zügen abgesteckt. Ich weiß, wo das Geld am Ende landet, wie meine Gauner da rankommen, und was die Polizei in der Zeit macht. Ich muss allerdings noch ein wenig daran feilen, die spezifischen Fähigkeiten meiner Gauner in den Mittelpunkt des Cons zu rücken. Sonst fragt man sich am Ende zu recht, warum es denn genau diese Bande sein sollte.
Trivial hin oder her - ich habe jedenfalls einen Mordsrespekt vor einem richtig gut konstruierten Krimi, und jetzt, wo ich selber so was schreibe, erst recht.
(Alle Bilder hier sind Skizzen und Entwürfe für "Kriminelle Energie". Habt Ihr euch wahrscheinlich schon gedacht. Alles in groß findet Ihr bei
Tumblr. Und alles über den neuen Comic, etwas kürzer und auf englisch,
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