Seit einigen Tagen wird in gewissen Ecken der sozialen Medien über gelungene und weniger gelungene Witze gestritten. Anlass ist ein ziemlich doofer satirisch gemeinter Comic, der handwerklich so schlecht konstruiert ist, dass man ihn zwar als Kommentar zu einer politischen Haltung lesen soll, aber eigentlich nur die politische Haltung selber hinten rauskommt. (Ich verlinke das jetzt nicht, ist mir zu doof und nicht das Thema hier.)
Naja, über Humor soll man ja angeblich nicht streiten können. (Andererseits, sag das mal den Leuten bei Facebook.) Darüber, wie man ihn formuliert, dagegen schon. Hier also ein paar Gedanken zu gut und schlecht geschriebenen Witzen.
Es gibt unzählige Arten, einen Witz zu konstruieren, und ich will hier keine allgemeingültige Anleitung liefern - Witze leben von der Überraschung, und die kann man eh nicht programmieren. Es gibt aber eine gewisse Ökonomie der Elemente, die ein guter Witz mit einer guten Geschichte gemein hat. Denn auch beim Storytelling gilt: Was am Ende rauskommt, muss mindestens das erfüllen, was am Anfang aufgebaut wurde.
Das Versprechen
So ziemlich jeder Witz besteht aus einer Vorbereitung der Pointe, die eine Erwartung aufbaut, und der Pointe, die diese Erwartung auf den Kopf stellt und damit sowohl erfüllt als auch überschreitet. (In der Satire beinhaltet diese Überschreitung auch noch einen befreienden Aspekt, denn gute Satire, eigentlich jeder gute Humor, richtet sich immer gegen Mächtige.) Wenn die Pointe die Erwartung nur erfüllt, ist es nicht so witzig. Wenn sie dagegen nicht auf der Vorbereitung aufbaut, sondern einfach nur einen beliebigen Kontrast setzt, hat das eine bessere Chance als die banale Bestätigung, ist aber so beliebig, dass der Erfolg vom Zufall abhängt. Die Vorbereitung der Pointe ist ein Versprechen. Wer das nicht mindestens erfüllt, vergeudet das Vertrauen des Publikums. Idealerweise muss das Publikum den Witz total kommen sehen - und dann doch davon überrascht sein.
Die Ökonomie kommt ins Spiel, wo Du zum Formulieren deiner Erwartung wirklich nicht mehr brauchst als die Elemente, die dir der Aufbau bietet. Wenn dein Witz von einem Schotten und einem Außerdirdischen in einer Kneipe handelt, kann die Pointe nicht bei der Blondine liegen, die Du gar nicht erwähnt hast. Er muss in den Vorstellungen liegen, die Erzähler und Publikum miteinander über Schotten, Außerirdische und Kneipen teilen.
Die Auflösung
Was die Pointe selber angeht, gibt es zwischen banal und beliebig viele Möglichkeiten, ein Thema so aufzugreifen, dass es komisch wird. Dazu gehören die Umkehrung ins Gegenteil (gerade jetzt im Urlaub regen sich bestimmt eine Menge Afrikaner über europäische Migranten auf - ob man da was draus machen könnte?), die Übertreibung ins Absurde (jede Comicfigur, bei der ein Charakterzug in einen
Running Gag verwandelt wird, baut auf diesem Prinzip auf), das Beziehen eines Mechanismus auf etwas völlig anderes (wenn die Behauptung “ich bin kein Rassist, aber…” einen als Rassisten entlarvt, dann muss das doch auch bei anderen Dingen gehen. Also: “Ich bin kein Millionär, aber…”). Nicht alle diese Überlegungen geben einen Witz ab - der hängt dann wiederum davon ab, ob man ihn so vorbereiten kann, dass die Pointe in dem Witz aufgehoben ist.
Wenn ein Witz einfach nur die Pointe hat, dass Nazis rassistisch sind oder Politiker korrupt, dann entsteht da nichts Neues. Das sind alles Vorstellungen, die die Leser schon mitbringen, die also nicht das übertreffen oder verwandeln, was vorne reingesteckt wird. Ein Rassist, der so rassistisch ist, dass er seine Kameraden verprügelt, wenn sie braungebrannt aus dem Urlaub kommen, ist dagegen so überzogen, dass man zumindest damit arbeiten kann. Und ein Politiker, der selber gar nicht korrupt ist, dem aber ständig Leute Geld zustecken, bricht die Erwartung in einer Weise, aus der was entstehen kann.
Die Fallhöhe
Ich sehe bei Cartoons und Witzen oft einen von zwei Fehlern am Werk (manchmal sogar beide): Entweder ist der Gag so banal, dass es sich nicht lohnt, dafür einen Witz aufzubauen. So ziemlich jede Anekdote, die dir jemand erzählt und dann sagt, “darüber musst Du mal einen Comic machen, ich hab’ noch ganz viele solcher Geschichten”, fällt in diese Kategorie. Meistens ist der Witz, dass jemand am Ende etwas Lustiges gesagt hat, oder ein komischer Zufall oder so was. Wenn man nicht dabei war, ist es aber meistens dann doch nicht so witzig, denn wenn man es aufschreibt, muss man am Ende so viel erklären, damit die Situation gut nachvollziehbar ist, dass der Witz dagegen verpufft.
Oder man überspannt den Bogen und überkonstruiert ihn, um am Ende aus einer absurden Situation eine absurde Pointe zu melken. Das Problem damit ist, dass eine gute Pointe die Ausgangssituation überstrahlt und ihre eine neue Wendung gibt. Je komplizierter der Aufbau, desto mehr Wumm muss die Pointe haben, sonst enttäuscht sie.
In diesem Zusammenhang ist oft von “Fallhöhe” die Rede. Eine Geschichte hat die richtige Fallhöhe, wenn die Pointe genug Schwung kriegt, um beim Fallen ordentlich zu platschen, aber nicht so hoch losfliegt, dass sie nicht mehr genau auf dem vorgesehenen Punkt landet. Vielleicht ist das Gummiband einer Zwille eine bessere Metapher: Spannst Du es nicht weit genug, landet die Krampe vor deinen Füßen. Spannst Du es zu weit, reißt es und das Gechoss fliegt gar nicht erst los.
Die Übung
Letztlich ist das jetzt alles Theorie. Witze schreiben lernt man, indem man es übt. Jeder gute Stand-up-Comedian wird dir erzählen, dass Du unzählige Male da rausgehen musst und keiner lacht, bevor Du deinen Ton gefunden hast. Und oft löst das Material, das Du selber zum Brüllen komisch findest, auf der Bühne nichts als Grillenzirpen aus. Ein guter Komiker denkt dann nicht, die haben alle keinen Humor, sondern arbeitet an dem Material, bis es wirkt.
Facebook ist für diese Erfahrung übrigens eine denkbar schlechte Bühne. Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe, aber es scheint, dass das Gros der Facebook-Nutzer vor Allem die Sachen liken und teilen, die dem entsprechen, was sie von sich aus schon denken, nicht das, was sie überrascht und herausfordert. Zum großen Ärger aller, die sich da auch nur ein bisschen Mühe geben, kann man da deshalb mit den banalsten Witzen und Memes und so oft den größten Erfolg haben. Auf die Weise lernt man’s natürlich nicht.