Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Dienstag, 11. März 2014
Der richtige Prozess für das richtige Projekt
Schreiben
Verschiedene Geschichten erfordern manchmal verschiedene Arten, die Handlung zu entwickeln. Im Moment arbeite ich an vier Geschichten. Davon hängt eine in Form von Post-it-Notizen an der Wand hinter mir, eine andere skizziere ich direkt in ein Notizbuch, und die dritte entwickle ich Seite für Seite. Die vierte entsteht ähnlich wie die dritte, ist aber noch nicht so weit.

Warum eigentlich? Wäre es nicht viel einfacher, eine einzige Methode immer wieder anzuwenden? Was macht die Geschichten so verschieden, dass ich sie völlig unterschiedlich angehe?

Da wäre zum Einen die Länge

Die Geschichte an der Wand soll beim derzeitigen Stand 44 Seiten lang werden. (Einige erinnern sich vielleicht daran, das ich neulich was über das frankobelgische Albenformat getwittert habe. Das war nur halb als Witz gemeint...) 44 Seiten lassen sich viel besser überblicken, wenn man sie auf einer großen Fläche vor sich ausgebreitet hat und die einzelnen Handlungselemente, die 'Beats', hin- und herschieben kann. Bei einer Kurzgeschichte wie der Conny-Van-Ehlsing-Geschichte, an der ich gerade arbeite, ist das nicht ganz so nötig, nur manchmal. Der Zwölfseiter in ANDERS fing auch mit einer verzettelten Wand an.

Dann wäre da die Komplexität

Die Geschichte mit dem eigenen Notizbuch soll sogar noch länger werden als die an der Wand, aber sie ist weniger komplex. Ich entwickle die Handlung nach und nach aus einer einfachen Idee und spinne dann drauflos. (Jedenfalls im derzeitigen Stadium. Später muss das ganze vielleicht doch noch gerafft werden, und dann werde ich mir wünschen, eine größere Wand zu haben.) Von der Struktur her gehe ich kapitelweise vor, und die Kapitel sind jeweils etwas weniger komplex als das Gesamtding.

Das ist für mich der Reiz dieser Geschichte, und auch der Grund, weshalb ich mit dem Gedanken spiele, sie über die ursprünglichen 32 Seiten hinweg weiterzuerzählen. Es geht vor allem um den Spaß und die Spontaneität, und die Idee eignet sich einfach hervorragend zum Drauflosfabulieren. Die Geschichte an der Wand dagegen ist weitaus komplexer. Sie erfordert Planung, und Planung erfordert Überblick, den ich in einem Notizbuch oder einer Datei eher verliere.

Drittens wäre da das Design

Die Handlung in dem Notizbuch schreibe ich auf die rechten Seiten des Buchs. Die linken bleiben frei, damit ich mir zu allen Elementen, die so nach und nach auftauchen, Skizzen und Entwürfe machen kann. Es ist eine actionreiche Science-Fiction-Geschichte, da wollte ich von Anfang an das Graphische im Blick haben. Da ich die Geschichte erst noch entwickle, weiß ich auch noch nicht, was ich da im Einzelnen noch zu gestalten haben werde, und so schreibe ich eine Szene rechts und mache mir dann links Notizen, welches Weltraumgerät ich dafür zu erfinden habe oder welche durchgeknallte Recherchefrage ich beizeiten der ESA werde stellen müssen.

Die Geschichte an der Wand spielt in der Gegenwart in einer Stadt. Genaugenommen in einem einzigen Stadtteil. Den kann ich weitgehend unabhängig von der Handlung entwerfen.

Oder, sagen wir, die Visualität

Die Science-Fiction-Geschichte lebt, wie gesagt, von der Action und auch vom Design. Insgesamt spielt das Visuelle eine viel größere Rolle als bei dem anderen Comic, bei dem eher die Handlung im Vordergrund steht und das Design zwar wichtig, aber ein zweiter Schritt ist. Ich gehe auch davon aus, dass Dialoge bei der Wandgeschichte eine größere Rolle spielen werden. Bei der Action-Geschichte habe ich großen Spaß dabei, oft seitenweise auf Dialog zu verzichten. Umso wichtiger ist es, hier möglichst früh mit Bildern zu arbeiten.

Und dann gibt's noch den Entwicklungsstand

Die Geschichte an der Wand hing früher schon mal an der Wand. Dann habe ich die Elemente, die ich damals hatte, in ein Celtx-Projekt übertragen und da weitergeschrieben, nur um festzustellen, dass sie offenbar doch noch nicht so weit ist. Deshalb habe ich sie, diesmal mit mehr Platz und viel mehr Post-Its, wieder aufgehängt.

Mit der anderen Geschichte war ich gefühlt schon viel weiter, als ich ans Aufschreiben ging. Aus dem Stand der Geschichte ergaben sich ganz andere Fragen. Nicht "wie motiviere ich diesen Charakter" oder "wann kommt derundder dazu" oder "wer ist denn nun der verdammte Täter", sondern "wie komme ich von dem Kapitel zu dem" und "was passiert eigentlich, wenn man ein Gewehr außerhalb der Atmosphäre abschießt".

Je nach Entwicklungsstand erfordert eine Geschichte verschiedene Herangehensweisen. Irgendwann werde ich die Geschichte an der Wand in Celtx weiterschreiben. Bei der Notizbuchgeschichte hoffe ich, den Schritt überspringen zu können und direkt von den Skizzen zum Layout übergehen zu können. Im Moment bin ich, wie gesagt, bei beiden Geschichten in dem Stadium, wo ich die Haupthandlung entwickle, im Sinne meiner Annäherungsmethode also noch einigermaßen außen. Nur habe ich bei der einen eine viel festere Vorstellung davon, was von dieser Handlung wann passieren muss. Oder vielleicht kommt es bei der auch einfach nicht so drauf an.


Könnte ich die Methoden einfach tauschen? Vielleicht. Aber die Herangehensweisen, die ich mir für beide Comics herausgepickt habe, erscheinen mir jeweils als die, die mich im Moment jeweils am ehesten voranbringen. Immer wieder dieselbe Methode anzuwenden wäre deshalb eben nicht einfacher - die gleiche Methode kann die Arbeit an einer Geschichte beschleunigen und an einer anderen bremsen, weil sie dafür einfach nicht geeignet ist und die Aufmerksamkeit von den Teilen des Projekts weg lenkt, die sie vielleicht am dringendsten brauchen.

Es gibt noch enen weiteren Aspekt, und der hat nur indirekt mit den Geschichten zu tun. Es geht ja auch darum, mich zu begeistern. Jetzt kann ich, je nachdem, welche Arbeitsweise mir gerade mehr zuspricht, mal an dieser und mal an jener Geschichte arbeiten.


So, und wer genau aufgepasst hat, erwartet jetzt demnächst von mir ein Krimi-Album und einen Science-Fiction-Actionkracher. Ich sollte vielleicht voranschicken, dass solche Prozesse sehr langfristig sind und ich eine Ahnung habe, ob und wann ich dazu kommen werde, das auch alles zu zeichnen.

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