Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Montag, 28. Januar 2013
Wo kommen die Ideen her?
Schreiben
Das oft lesenswerte Blog Brain Pickings hat eine interessante Reihe mit Tipps von bekannten Autoren: John Steinbeck, Jack Kerouac, Henry Miller. Millers Liste scheint eine Notiz zu sein, die er für sich selber gemacht hat, und einer seiner Tipps sticht besonders raus und berührt einen Punkt, über den ich schon lange mal schreiben wollte:

"When you can’t create you can work."

Ihr kennt sicher den Spruch über das Verhältnis von Inspiration und Transpiration. Darauf bezieht sich dieser Satz. Ideen haben ist eine Sache - sie umzusetzen eine andere. Die Idee zu einer Story auszubauen, die zu einem Skript, das dann zu zeichnen mit allem, was dazugehört - all das ist Arbeit. Manches davon beflügelt sich selbst, anderes muss man rausklotzen.

Für mich markiert dieser Satz aber auch den Unterschied zwischen einem Profiautoren und einem Amateur. Ich bin, wie regelmäßige Leser wissen sollten, der letzte, der sich abfällig über Amateure äußern würde, deshalb schreibe ich das ohne Wertung. Hier ist der Unterschied:

Der Amateur wartet auf Ideen und "kriegt" sie. Kreative Arbeit ist für ihn das Rauslassen seiner gelegentlichen kreativen Energie. Denn genau bis dahin macht es mehr Spaß als Stress, und darum geht es dem Amateur.

Der Profi produziert Ideen. Kreative Arbeit ist für ihn ein Prozess, und die Kontrolle über diesen Prozess hat nicht die Muse, sondern er selbst.

Ich habe die Produktion von Ideen mitgezählt, denn auch die kann man lernen. Und wenn man einen regelmäßigen Comic produziert, kann man sich nicht drauf verlassen, dass immer rechtzeitig genug gute Ideen vorbeikommen. Man muss, auch wenn man gerade nicht in der Verfassung für geistige Höhenflüge ist, immer noch den Job erledigen.

Wenn ich das im Kreis kreativer Leute sage, ernte ich allerdings leicht mal Kopfschütteln. Ist das nicht ein Rezept für Mittelmäßigkeit?

Nur wenn man's falsch macht.

Es geht nicht darum, auf Gedeih und Verderb einfach irgendwas rauszuhauen. Es geht darum, durch Routine, Anwendung der erarbeiteten Fähigkeiten und Disziplin die Dinge gezielt zu produzieren, auf die der Amateur nur warten kann.

WIe kann das aussehen?

Wenn ich eine neue Idee für Conny Van Ehlsing brauche, frage ich mich als erstes, wo Conny in ihrer Entwicklung steht und wo ich sie hin entwickeln will. Das sagt mir bereits, welche Art von Erlebnis ich brauche, um sie in die richtige Richtung zu kriegen. Oft sind es die festen Nebenfiguren, über die ich diese Entwicklungen auf den Punkt bringe. Wenn es darum geht, wie sich Conny von ihren Freunden entfremdet, kann ich das gut anhand von Gaijin und Tim zeigen, wenn es dagegen um ihre sozialen Fertigkeiten geht, eignet sich Sophie besser. Und manchmal muss es genau andersrum sein. Manchmal habe ich auch eine Idee für ein Setting (Spukhaus!) oder ein Thema aus der Zeitung (Kinderdoping!) und setze das um.

Damit weiß ich noch nicht, welche Art Monster diesmal in die Stadt kommt und wie Conny ihm entgegentritt. Das ergibt sich, wenn ich diese Gedanken ausführlich hin- und herschwenke.

Bei Conny ergibt sich die Handlung also aus den Erfordernissen der Charakterentwicklung und des Themas. Schwieriger ist das bei ganz neuen Serien, wo nicht mal die Charaktere feststehen. Da hilft es, mir überhaupt erstmal klarzumachen, was schon feststeht. Soll die Geschichte ernst sein oder witzig? Einem Genre folgen, und welchem? Lang oder kurz? Wenn ich schon die Charaktere nicht weiß, was kann ich denn schon über ihre Rollen in Bezug auf die Handlung sagen? Ihr Geschlecht? Ihre Herkunft?

Über die Routine im Schreiben eignet man sich eine bestimmte Denkweise an. Man sieht die Welt mehr oder weniger in narrativen Kategorien. Aus der Erzählerperspektive. Meine "Technik" besteht in nichts anderem: Ich betrachte irgendwas aus der Perspektive eines Erzählers und wende meine "narrative Denke" drauf an. Manchmal beinhaltet das auch, eine solche Idee bis zu ein paar Jahren liegenzulassen, weil der Erzähler in mir weiß, die ist noch nicht reif. Aber immer beinhaltet die Technik das Verarbeiten von Impulsen zu etwas Anderem. Wenn es dann Zeit ist, die Geschichte zu schreiben, habe ich schon deshalb keine Angst vor dem leeren Blatt, weil das Blatt alles andere als leer ist.

Und das ist auch schon die ganze Antwort auf die Eingangsfrage.

Wo kommen die Ideen her?

Nirgends. Die mache ich selber.

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