Am vergangenen Wochenende hat der ICOM auf der Intercomic in Köln das Comic! Jahrbuch 2013 vorgestellt, in dem auch mein Artikel "Alte neue Möglichkeiten: Das immer noch offene Versprechen der Webcomics" zu lesen ist. Der Text handelt von den potenziellen Möglichkeiten der Webcomics und ist gespickt mit Verweisen auf Webseiten, was dem Thema entspricht, in einem gedruckten Buch aber irgendwie trocken rüberkommt. Hier deshalb eine stark gekürzte Fassung des Textes. Der Band mit dem ganzen Text und jeder Menge anderer lesenswerter Sachen ist erhältlich beim ICOM.
Anfangs, als Webcomics noch neu waren und "Online-Comics" hießen, schien alles möglich. Inspiriert von
Scott McClouds Abgesang an das feste Seitenformat, sahen unzählige Comicschaffende aufregende neue Möglichkeiten.
Demian5s "When I Am King" spielte mit Seitwärtsscrolling und Framesets, Charley Parkers
Argon Zark mit aufwändigen, animierten Farbseiten und versteckten Extras - um nur zwei der bekannteren Beispiele zu nennen. Der Grundgedanke war so selbstverständlich wie revolutionär: Ohne die Begrenzungen eines festen Seitenformats und ohne die Einschränkungen des Druckverfahrens konnten sich Comics völlig frei von allen Vorgaben entwickeln und zu einer entfesselten, ureigenen Formsprache finden.
Allerdings hat sich die formale Vielfalt - im Gegensatz übrigens zur thematischen oder stilistischen - dann doch nicht ganz so entwickelt wie erwartet. Der Großteil der heutigen Webcomics (besonders der bekannten) besteht aus unbeweglichen Comicseiten von oft gleichbleibendem Format, präsentiert als Blog. Kaum mal, dass ein Comic das "Alt"-Tag des Bildes für zusätzliche Inhalte nutzt, wie Randall Munroes
XKCD, oder dass hin und wieder ein Bild animiert wird, wie die Splash Panels bei
Union der Helden. Und seit sich als Quasi-Standard für die technische Darstellung das Wordpress-Plugin
Comicpress etabliert hat, unterscheiden sich nicht mal die Webseiten noch wesentlich.
Was ist nicht passiert?
Neben dem verständlichen Wunsch, den eigenen Comic irgendwann auch gedruckt zu sehen, bremsen mehrere Faktoren die erhoffte Weiterentwicklung der Webcomics aus.
- Zum einen sind experimentellere Multimedia-Comics zwar interessant anzusehen, werden aber von den Lesern nicht unbedingt als Lesestoff angenommen, eher als künstlerische Experimente. Das Wichtigste bei einem Comic bleibt aber halt das Miterleben der Story, und allzu "flashige" Effekte stehen diesem Erleben oft im Weg.
- Um eine Webseite beim Publikum präsent zu halten, muss da regelmäßig etwas passieren. Deshalb empfiehlt es sich, lieber öfter kleinere Einheiten herauszubringen als seltener größere.
- Drittens spielen noch die Ladezeiten größerer Comicdateien eine Rolle. Das Problem erledigt sich zunehmend, gehört aber zu den Startbedingungen, die die Entwicklung der Webcomics geprägt haben.
- Und letztlich sind Comiczeichner nun mal zuallererst Comiczeichner und nicht Webdesigner, die sie auch noch sein müssten, um beide Medien voll zu nutzen.
Und seien wir ehrlich: man kann eine Menge Comicseiten schreiben, bevor die Handlung wirklich nach besonderen Effekten verlangt.
Neue Bedingungen, neue Lösungen
Seit sich zunehmend Smartphones und Tablet-PCs als E-Reader und Web-Frontend etablieren, bekommt die Frage nach dem Online-Format neue Bedeutung. Denn das regelmäßige Online-Lesen auf einer dafür vorgesehenen Webseite ist nicht mehr unbedingt der vorrangige Zugang zu allem.
Die wichtigste Herausforderung ist natürlich, die Wirkung eines Comics auch auf den kleineren Geräten zu bewahren. Mögliche Lösungen reichen von Apps, die das Heranzoomen von Einzelbildern erlauben,
bis zum sogenannten Responsive Webdesign, bei dem sich das Layout einer Webseite je nach Browserfenster unterschiedlich darstellt. Das erfordert allerdings relativ umfassende Scripting-Kenntnisse. Viele Zeichner layouten stattdessen lieber von Vornherein
auf den kleineren Bildschirm hin.
Mobile Apps bieten nicht nur neue technische Darstellungsmöglichkeiten, sondern erlauben auch, größere Einheiten auf einmal herauszubringen. Vielleicht lässt sich deshalb in letzter Zeit zunehmend auch ohne tägliche Updates und auf den ersten Blick erkennbare Gags Erfolg haben. So hat Daniel Lieske mit seinem zunächst jährlich erscheinenden
Infinite-Canvas-Comic "Wormworld Saga" das Kunststück vollbracht, ihn lang genug im Gespräch zu halten, um drumherum lohnende Monetarisierungen aufzubauen.
Ein anderer neuer Comic, den zu beobachten sich lohnt, beziehungsweise eine ganze Comicplattform, ist Mark Waids
Thrillbent. Thrillbent benutzt ein Format, das zuvor Yves "Balak" Bigerel
in einem vielbeachteten Comic auf Deviant Art ausprobiert hatte. Hier klickt man sich normal durch die Seiten, aber es lädt nicht jedesmal eine neue Seite - manchmal kommen einfach Bilder oder Sprechblasen dazu oder werden durch andere ersetzt. Dieser einfache Trick rundet die Blickführung ab, ohne zu nerven, erfordert aber Updates von jeweils mehr als einer Seite.
Diese neuen Formate sind nicht so aufregend wie einiges von dem, was sich die Altvorderen des Webcomic früher so ausgedacht haben. Das mag man enttäuschend finden, aber von den Comics aus gedacht, ist es eigentlich ein Zeichen für Qualität, wenn sie sich nicht jedem Special Effect andienen, sondern nur dann aus der gewohnten Erzählweise ausbrechen, wenn es
den Erzählfluss nicht stört und
wenn es die Story erfordert. Damit finden die Webcomics zu einem wesentlichen Charakteristikum guter Comics zurück: Sie sind vor allem und zuallererst gut lesbar.
derlachwitz,
Donnerstag, 8. November 2012, 21:09
Das Jahrbuch 2012 habe ich mir gleich mal gespannt. Genug gute Lektüre kann man nie haben.
Generell stimme ich dir zu. Einerseits ist es schade, dass von den technischen Möglichkeiten des Mediums so wenig genutzt wird, andererseits sehe ich besonders das Leseverhalten und die technischen Anforderungen an die Zeichner als Haupthindernisse.
Dennoch sehe ich die Entwicklung positiv. Es hat sich sehr viel entwickelt und dafür gab es andere, augenscheinlich nicht so tiefgreifende Entwicklungen.
Besonders die vierte Dimension finde ich sehr wichtig. Das funktioniert zwar auch in jedem Printcomic, aber beim Webcomic ist die Zeitdifferenz viel geringer. Beispielsweise Sarahs Strip in dem sie sich für die Geschmacklosigkeiten entschuldigt (find den grad natürlich nicht...)
Das ist in meinen Augen schon eine sehr zeitnahe Interaktion, die so direkt früher nicht möglich war.
Allerdings glaube ich, dass es falsch ist, wenn man fortan versucht Webcomics auf kleine Bildschirme auszurichten, damit sie überall lesbar sind. Zum einen steigen die Auflösungen der Mobilgeräte rapide, und zum anderen zeigen Apps wie Maddog Comics etc. viele interessante Möglichkeiten, einen Comicstrip (egal ob als Schmalstrip oder im A4-Format) auch auf kleinen Geräten sehr gut zu lesen. Da bieten sich die Möglichkeiten die "Balak" nutzt, auch sehr gut an.
Comicpress bzw. ComicEasel finde ich eine begrüßenswerte Entwicklung. Allerdings sind Leute wie Schlogger und Beetlebum auch schöne Beispiele dass man entweder komplett selbst coden kann, oder auch mit "altmodischen" Bloglayouts sehr wohl Comics publizieren kann. Ich glaube ComicPress und Co. werden immer nur einen Teil der Webcomicleute abbilden können, schon weil viele genau vor dieser Vereinheitlichung zurückschrecken.
Ansonsten stimme ich aber dem Fazit voll und ganz zu. Lesbarkeit ist am Ende doch das wichtigste Kriterium.
jaehling,
Freitag, 9. November 2012, 12:47
Und an der Lesbarkeit zeigt sich letztlich, was funktioniert und übernommen wird und was nicht. Viele Vorschläge und Ideen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, kommen nicht aus der Perspektive von Lesern, sondern aus der von Leuten, die sich gewissermaßen von außen, über eine abstrakte Idee von Was Laufen Sollte, dem Thema nähern. Ähnlich wie die Leute, die meinen, das Medium Comic retten zu können, indem sie, weißnich, Kochrezepte-Comics oder so was vorschlagen. Nicht alles, was möglich ist, ist sinnvoll. Wenn man aus dem Erzählen heraus neue Möglichkeiten erkundet, ist das aber immer zumindest den Versuch wert.
Ich arbeite selber mit ComicPress, habe es aber ziermlich verwurstet, damit es nicht wie eine ComicPress-Seite aussieht und mehr Möglichkeiten bietet. Es geht also. Ich kann je nach Comic zwischen Hoch- und Querlayout wechseln und interaktive Comics statt flacher Seiten einbauen, alles kein Problem. Man darf halt nur keine Angst vor Code haben.
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