Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Mittwoch, 25. Juli 2012
Wie man es zu Ende bringt
Schreiben
In dieser und der nächsten (US-)TV-Saison hören eine ganze Menge guter Serien auf. Gerade ist die letzte Folge von Eureka gelaufen, und möglicherweise wird auch die gerade angelaufene fünfte Staffel von Leverage die letzte sein. Fringe geht im Herbst in die letzte Staffel. In England ist Anfang des Jahres die letzte Staffel von Hustle zu sehen gewesen. Und das sind nur die, von denen ich weiß - sooo viele Serien verfolge ich auch nicht.

Ich bin da geteilter Ansicht, wie das zu beurteilen ist. Einerseits ist es schade um die tollen Serien, andererseits mag ich's, wenn eine Serie nach ihren eigenen Bedingungen endet. Das ist besser als mitten in der Erzählung abzureißen, und es ist vor allem auch besser, als wenn man einfach immer weitermacht, bis die Sendung irgendwann wirklich niemand mehr sehen will.

Vielleicht wegen all dieser Serienenden habe ich in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, wie man eine Serie gut zum Ende führt. Keine Sorge, ich habe nicht vor, Conny Van Ehlsing in absehbarer Zeit einzustellen, Ihr könnt also gerne noch ein bisschen warten mit den erbosten Leserbriefaktionen. (Obwohl, schaden kann's ja auch nicht, oder?) Aber wenn, will ich schon gerne ein richtiges Ende und kein einfaches Verschwinden. Serien, die einfach nur nicht weitergegangen sind, hatte ich ja auch zur Genüge.

Ein guter Schluss - egal, ob bei einer Geschichte oder einer Serie - rundet das Erlebte ab, und zwar das ganze Erlebte. Im Grunde muss ein guter Schluss die ganze Geschichte - nicht die Handlung, sondern den emotionalen Bogen - nochmal umfassen. Ein guter Schluss liest sich nicht zuletzt auch als direkte Konsequenz des Anfangs. Stellt ihn euch einfach wie das Zurückschwingen eines Pendels vor.

Die großen Herausforderungen beim Abschließen einer Serie sind:
  1. Die bisherigen Staffeln zu toppen oder zumindest einen Konflikt zu finden, der als Konsequenz des ersten Konfliktes ebenso funktioniert wie als Konsequenz aus allem, was seitdem passiert ist. Das ist umso schiweriger, je länger die Serie läuft - und je endgültiger der Konflikt vom Anfang aufgelöst wurde.
  2. Die ganzen losen Fäden aufzunehmen und zu einem gemeinsamen Ende zu führen. Das ist umso schwieriger, je weiter sich die Serie seit dem Anfang entwickelt hat und natürlich, je weniger Zeit man hat, das ganze abzuschließen.
Wie lässt sich ein umfassenderer Bogen gut abrunden? Ich versuche mal ein paar Tropen herauszuarbeiten. Als Beispiele haben sich auch einige Serien eingeschlichen, die noch gar nicht vorbei sind, aber die jeweiligen Tropen sehr gut in ihren Staffelfinalen verwenden. Lustig übrigens, dass Eureka fast alle diese Tropen in der letzten Folge bedient oder zumindest angetäuscht hat.
  • Das letzte Gefecht

    (Buffy, Angel, Farscape)
    Das klassische Finale. Die Helden, das ganze Ensemble, wie es sich im Lauf der Zeit entwickelt hat, kommen zusammen, um nochmal um alles zu kämpfen, worum es in der Serie ging, möglichst gegen langjährige Antagonisten oder ein Kombinat alter Gegner. Idealerweise bringt man noch alte Protagonisten zurück. Nichts sagt so deutlich, dass die Welt endet, wie die Rückkehr Totgeglaubter.

    Idealerweise entwickelt man dieses Finale in einer Serie über mehrere Folgen bzw. die ganze letzte Staffel. Wenn man das nicht tut, wirkt der Schluss irgendwie drangeklatscht. Es darf nicht einfach eine Schlacht sein; es ist die Schlacht. Es geht um alles, sonst ist es kein Letztes Gefecht, nur eins zwischendurch. Eine Variation des Motivs bietet Angel: Hier besteht das Finale in der Vorbereitung des letzten Gefechts und endet mit seinem Auftakt. Sehr schöner Schluss.
  • Das Familienereignis

    (Farscape, Eureka, Ally McBeal)
    Typischerweise eine Geburt oder Hochzeit zwischen Charakteren, die man schon lange zusammenbringen wollte. Das kann sowohl ein lang vorbereiteter Erzählstrang sein als auch ein irgendwie drangeklatschtes Klischee. Ehrlich gesagt, kann ich mit dieser Art von Schluss nicht viel anfangen, zumindest in Serien, bei denen die Liebesgeschichte nicht der Hauptfokus ist. Klingt für mich eher so, als hätte da jemand den Begriff "emotionaler Bogen" zu wörtlich genommen. (Bei Ally McBeal bedeutet die Entscheidung für die Familie am Ende sogar die völlige Abkehr von der anfänglichen Prämisse.) Besonders faul ist es, wenn als Nachgedanke noch eine Schwangerschaft in den Raum geworfen wird.

    Es kann funktionieren, je nachdem wie zentral die Famile mit dem Ereignis ist. Farscape bringt das Familienereignis in Verbindung mit einem "richtigen" Finale, so dass sich das nicht als Ausweichen liest. (Sogar mittendrin, was für einige Komik sorgt.) Aber vergesst nicht - die Geschichte, die Ihr beenden wollt, ist die im Zentrum der Ereignisse, nicht irgendein Nebenstrang.
  • Der Zeitsprung

    (Dollhouse, Fringe, Eureka Season 1)
    Plötzlich ist es Jahre (oder auch Wochen) später, und die Konsequenzen der Ereignisse, von denen die Serie handelt, kommen zum Tragen. In Dollhouse spielen die Epitaph-Folgen diese Rolle (beziehungsweise kriegen sie zugewiesen, denn eigentlich hatten sie eine andere), wobei die erste bereits Staffel 1 beendet und die Erwartungen an die zweite Staffel prägt. Auch Fringe hat einen Zeitsprung in einer Folge in Staffel 4 vorweggenommen, und Season 5 spielt ganz in dieser Zukunft.

    Diese Art des Finales erlaubt, durch den Griff nach vorne gewissermaßen den nach hinten (zum Anfang) zu relativieren, ist aber gefährlich. Was die Fans interessiert, ist vor allem, was aus den Hauptfiguren und ihren Konflikten miteinander wird. Allzu fremd sollte die Zukunft also nicht sein.
  • Die Umdeutung

    (Akte X, und innerhalb einzelner Staffeln Burn Notice und Nikita)
    Alles, was Du gesehen hast, war nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Gute Serien erfinden sich eigentlich sowieso immer neu. Wenn man weiß, dass es zum letzten Mal ist, kann man diesen Mechanismus nochmal auf Turbo drehen. Deutlicher kann man die Fäden der Vergangenheit nicht zusammenfassen, und man hat einen sehr eleganten Übergang zum Letzten Gefecht. (Siehe auch den Zusammenschluss der Gegner da.)

    Man muss aber aufpassen, das die große Verschwörung am Ende den kleineren Verschwörungen von vorher das Wasser reichen kann. Das war die große Enttäuschung am Ende von Akte X: Wie, das soll das ganze Geheimnis gewesen sein?
Die folgenden Tropen eignen sich weniger, alleine ein Serienende zu tragen, geben aber sehr schöne Abschlussmotive ab und funktionieren gut in Verbindung mit den anderen:
  • Alle umbringen

    (Titel erspare ich euch, wegen Spoilern. Oder doch: Buffy (Season 5))
    Auch das ist bereits gemacht worden, und teilweise bei Serien, wo man's nicht gedacht hätte: Im Finale stirbt der Held oder vielleicht sogar die ganze Mannschaft, und ohne sie gibt's natürlich auch keine Serie mehr. Naja, fast. Wenn wir irgendwas aus Alien gelernt haben, dann dass ein gutes Produktionsbudget auch den Tod überwindet. Alternativ kann der Held auch anders entfernt werden. Sich verabschieden und in den Sonnenuntergang reiten oder so was. (Siehe auch das Familienereignis.) Aber das ist natürllich nicht so radikal.

    Ein solcher Schluss signalisiert zwar Endgültigkeit, macht aber noch nicht alleine ein gutes Finale aus. Denn auch der Tod des Helden kann drangeklatscht wirken, wenn er nicht als Konsequenz aus der Quersumme der Serie kommt.
  • Reboot, Reset, Retcon

    (Eureka fast, Torchwood immer wieder)
    Das ist gefährlich, und man muss schon sehr gut darin sein, um damit durchzukommen. Die Rede ist von einem Ende, das alles oder zumindest einen guten Teil der Ereignisse wieder auf Null bringt und die Geschichte ungeschehen macht. Eureka hat das in Kombination mit einem Zeitsprung im Finale der ersten Staffel gemacht und ist damit durchgekommen, weil es eben doch Konsequenzen gab. Im Serienfinale haben sie die Möglichkeit angetäuscht, aber das war Teil eines Spiels mit den Zuschauererwartungen.
  • Die Erneuerung

    (Buffy)
    Die Probleme sind beseitigt oder ge-retcont, die Protagonisten können mit ihrem Leben weitermachen oder ein neues beginnen. (Der Unterschied zum Retcon ist, dass hier die Konsequenzen der vorigen Folgen weiter gelten.) Oder wenn schon nicht das, dann ändert sich der Hintergrund der Serie grundlegend. So grundlegend, dass die Geschichte als Geschichte dieses Settings eben auch vorbei ist. Nicht immer geschieht das so radikal wie in Buffy, wo die ganze Stadt, in der die Serie spielt, plattgemacht wird; manchmal endet auch einfach nur die Schulzeit. Aber: etwas endet, und etwas Neues beginnt. Funktioniert gut in Verbindung mit dem Letzen Gefecht und dem Familienereignis. Für sich alleine, nicht so gut. Besser, wenn vorher etwas passiert, das den Neuanfang begründet.
  • Der vorletzte Beat

    (Leverage Season 1, Terriers, Angel)
    Im Grunde sind alle Entscheidungen gefällt, die Konsequenzen benannt, die Geschichte vorbei, eigentlich müssen nur noch die Schecks eingelöst werden. Aber das sehen wir nicht mehr, denn erstens ist das, was wir uns vorstellen, eh viel aufregender, und zweitens kommt es ja vielleicht doch alles noch ganz anders?

    Angel endet mit der Aufstellung zum Letzten Gefecht und mit der Entschlossenheit, das auch noch auszufechten. Und seien wir ehrlich, so wollen wir ihn in Erinnerung halten. Terriers endet buchstäblich an der Kreuzung der beiden Wege, die ins Gefängnis und davon weg führen, und in der ersten Staffel von Leverage, als das Team auseinandergeht, dreht sich Nate fast zu den anderen um, aber das kriegen wir nicht mehr zu sehen. Zwei dieser drei Beispiele sind Serien, die zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, ob sie erneuert werden würden, und so funktioniert ein Vorletzter Beat eben auch irgendwie wie ein Cliffhanger-Finale, nur befriedigender, weil die Geschichte einen Schluss hat. Die einzige verbleibende Frage ist, wie endgültig der ist.
  • Der ikonische Rückgriff

    (Leverage, Eureka)
    Die Macher von Leverage haben in der ersten Folge ein Bild geschaffen und im Finale der ersten Staffel verfestigt, das mit ziemlicher Sicherheit auch irgendwann die Serie beenden wird: Der Blick von oben auf das Team, wie es auseinandergeht. Auch in der letzten Buffy-Folge gibt es einen solchen Rückgriff auf den Anfang, den Dialog zwischen den vier Hauptfiguren kurz vor dem Letzten Gefecht. Solche Bilder geben für sich kein echtes Finale ab, aber sie verstärken und bestätigen die Endgültigkeit des Endes.

    Einen sehr schönen Rückgriff hat sich Hustle erlaubt: Hier ist der Con, den die Crew in der letzten Folge ausführt, im Prinzip derselbe wie in der allerersten Folge.

Es gibt einen breiten Schatz von Tropen, die sich zitieren und übernehmen lassen, um zu signalisieren, dass es zuende geht. Aber ein richtiger Schluss muss immer noch "verdient" werden. Und der Weg, ihn sich zu verdienen, führt über die gesamte letzte Staffel und eigentlich sogar die gesamte Serie. In dem Sinn unterscheidet sich der Schluss einer Serie nicht vom Schluss einer Geschichte.

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