Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Mittwoch, 19. Januar 2011
Nicht nur ein Unwort, sondern auch schlechte Schreibe
Schreiben
Gestern wurde das "Unwort des Jahres" bekanntgegeben: "alternativlos". Die Entscheidung ist, wie's aussieht, nicht unumstritten, aber ich find's richtig. Mit diesem Wort wird ganz schön viel Schaden angerichtet. In einem anderen Zusammenhang habe ich die zugrundeliegende Denkweise mal als Katastrophenlogik beschrieben. Damals ging es um eine eskalierende Investitions- und Sozialabbaupolitik:
Die Logik hinter all dem ist nicht mehr die der Krise. Das wäre nicht dramatisch genug. Es muss schon die totale Katastrophe sein, denn erst die erfordert es, über sich hinauszuwachsen und drastische Maßnahmen einzuführen, die dann nicht mehr hinterfragt werden können.
("Dekonstruktion des Verschwindens", im Projektreader "Tales From Hazyland", 2005)
Es ist diese Nicht-Hinterfragbarkeit, die "alternativlos" so gefährlich macht. Das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch im Storytelling.

Besonders in Actionfilmen, aber auch in anspruchsvolleren Programmen wird diese Begründung gerne benutzt, um den Helden und mit ihm das normalerweise friedliche Publikum auf ein martialisches Finale vorzubereiten. Oder auf eine waghalsige Rettung. Oder irgendwas anderes, das niemand, der bei Verstand ist, freiwillig tun würde. Irgendjemand sagt "es ist die einzige Möglichkeit", und es wird nicht mehr hinterfragt.

Die Auswegslose Situation wird gerne benutzt, um die Dramatik zu steigern. Sie leitet sich her vom tragischen Konflikt, bei dem der Held sich zwischen zwei Übeln entscheiden muss. Ein gutes Drama läuft auf diese Entscheidung hinaus. Umso schlimmer, wenn sie dann nicht glaubwürdig ist. Damit kippt das Drama zum Melodrama um. Wenn die Auswegslosigkeit zum hohlen Vehikel für eine Entscheidung wird, dann bedeutet die Entscheidung auch nichts mehr.

Ein Beispiel aus der Doctor Who-Folge "The Waters of Mars" (vorsicht, heftige Spoiler): Der Doctor weiß, dass er die Besatzung der Marsstation nicht retten darf, weil erst deren Verlust die Menschheit so richtig dazu angespornt haben wird, den Weltraum zu erobern. Dabei hätte er durchaus Alternativen. Er könnte sie auf einem anderen Planeten aussetzen oder auf der Erde der Zukunft. Die Leute wären gerettet und der Verlauf der Geschichte auch. Wozu hat der Kerl eine TARDIS?

Wenn so etwas passiert, besonders wenn ich als Zuschauer bereits beim Gucken auf diese Alternativen komme, verliere ich die Empathie mit dem Helden, weil der nicht darauf kommt. Bestenfalls halte ich ihn für doof, schlimmstenfalls seinen Autoren.

Vorsicht also, wenn jemand sagt, es gäbe kene Alternative. Normalerweise bedeutet das nur, dass der Autor (oder in der Politik der Redenschreiber) zu faul, zu doof oder zu erpicht auf ein bestimmtes Ergebnis war, um die Alternativen zu verfolgen.

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