Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Montag, 8. Februar 2010
Nichts als grandiose Bilder
Inspiriertwerden

Ich war dieses Jahr bisher zweimal im Kino. Der eine Film war ein visuell überwältigender Trip, eine pure Gaudi visionärer Bilder. Der andere war AVATAR.

Ehrlich, ich war enttäuscht von AVATAR. Nicht von der Story - da habe ich nichts erwartet und auch nichts gekriegt. Passt schon. Enttäuscht haben mich die Bilder, die zwar wunderbar produziert und schwindelerregend präsentiert waren, aber nicht besonders originell. Irgendwie hatte ich das alles schon gesehen, wenn auch nicht so schick. Die schwebenden Berge von LAPUTA, die Flucht durch den Dschungel aus PREDATOR, die Ethno-Tanzszene (hier: Heilungsritual) aus irgendeiner alten Eiskremwerbung... Sogar die blaue Hautfarbe der Ureinwohner war nicht neu: Von Schlumpfwitzen* mal abgesehen, geht das Motiv der blauen Hautfarbe als Signal für edel und schön auf die Hindu-Gottheit Krishna zurück, den achten Avatar (!) des Gottes Vishnu. Die originellen Ideen, die es auch gab, gingen in diesem Zitatekitsch irgendwie unter.

Terry Gilliams KABINETT DES DOKTOR PARNASSUS dagegen! Auch hier war nicht alles neu. Die Animationen zitieren, wahrscheinlich in voller Absicht, Gilliams frühere Arbeiten für MONTY PYTHON'S FLYING CIRCUS, nur in 3D (nicht AVATAR-3D, eher FINDET-NEMO-3D). Aber diese Traumwelten wirken frisch, lebendig, unverbraucht, anarchisch. Weil Gilliam sie gegen den Strich bürstet, auch gegen die Sehgewohnheiten seines Publikums (im Gegensatz zum allzu gefälligen Cameron). Allein dadurch wurde der hundertmal billigere DOKTOR PARNASSUS für mich zu dem Kinoerlebnis, das AVATAR hätte sein sollen.

Ich würde das alles nicht schreiben, wenn da nicht irgendwo eine Lektion drin wäre. Nicht nur im Film, auch und gerade bei Comics wird gerne über das Verhältnis von Story und Bild debattiert. Diese Gegenüberstellung ist hilfreich, aber ungenau. Denn wie die Story (Plot, Dialog, Charaktermotivierung) hat auch die Grafik mehrere Dimensionen (nicht im AVATAR- oder FINDET-NEMO-Sinn, eher im MATRIX-Sinn, wo alles, was in der einen Wirklichkeit passiert, auf die andere wirkt, obwohl das in MATRIX nie wirklich Sinn gemacht hat, aber lassen wir das): Bilder können durch die Produktion überzeugen (AVATAR) oder durch ihren Inhalt (PARNASSUS).

Deshalb kann auch ein einfach gezeichneter Comic graphisch überzeugend sein. Auf Anhieb fällt mir etwa George Herrimans KRAZY KAT als eins der ganz großen Comic-Kunstwerke ein, die gerade wegen des ästhetischen Wertes geliebt werden, trotz eines groben, fast ungelenken Strichs. Dagegen wirken die Comics eines Alex Ross, so grandios jedes einzelne Bild gemalt ist, oft etwas leblos. (Ideal ist es natürlich, wenn man Dave McKean ist und beides kann.)

Auch grafisch ist es unter Umständen wichtiger, was man zu sagen hat, als wie laut, grell, bunt oder dreidimensional man es sagt. Nicht, wie die Bilder gerendert sind, zählt, sondern was davon hängenbleibt.

Das ganze Geschrei um AVATAR in den letzten Wochen macht den Eindruck, als wäre diese Meinung gerade nicht die populäre. Aber seht's mal so: Das weniger originelle meiner beiden Kinoerlebnisse hat hunderte Millionen gekostet. Das ist einer der Gründe, weshalb die Story so platt ist, denn so einen Haufen muss man erstmal einspielen, und das geht nur mit einem Popcorn-Publikum, das sich beim Gucken nicht anstrengen will. (Weil, da gibt's mehr von.) Umgekehrt war das viele Geld auch nötig, denn ohne die Extra-Investition in die Bildtechnik wäre AVATAR ein stinklangweiliger Film, nicht nur erzählerisch, sondern auch optisch. Schön, aber belanglos. Die Investition hat diesen Film überhaupt erst erwähnenswert gemacht. DOKTOR PARNASSUS gelingt das mit einem lächerlichen Bruchteil des Budgets.

Es kommt natürlich auch drauf an, wen Du mit Deinen Comics erreichen willst und wieviele davon. Um in die erste Liga der Zeichner zu kommen, musst Du auch zeichnen wie die erste Liga. Und noch wichtiger: so produzieren, damit die erste Liga dich auch wahrnimmt. Da helfen dir die Überlegungen in diesem Beitrag wenig. Um ein treues Publikum für deinen Comic zu finden, ist es aber wichtiger, dass dein Comic auch was zu sagen hat, inhaltlich wie graphisch. Der gleiche Aufwand, den Du jetzt darauf richtest, einen Beleuchtungseffekt besonders gut hinzukriegen, sollte dann vielleicht besser in ein unverkennbares Charakterdesign oder einen ausdrucksstarken Gesichtsausdruck gehen. (Wiederum: Toll wenn man beides kann, aber wer sich entscheiden muss, sollte das mit Bedacht tun.)

So, und heute gehe ich in den neuen Sherlock-Holmes-Film. Mal sehen, wie der wird.

_________________

*) Der Film ist schon als "Der mit dem Schlumpf tanzt" und "Pocahontas in Space" bezeichnet worden. Dabei fällt mir ein, dass ich gegen eine Pocahontas-Adaption mit richtigen Schlümpfen wirklich nichts gehabt hätte. Ehrlich, das wäre der bessere Film gewesen. Auf jeden Fall der originellere.

... Kommentieren

Speichern/Mitteilen
Der m(ech)anische Comiczeichner
xml version of this page Abonnieren
Menu
Startseite
Mission Statement
Kategorien:
Arbeitsorganisation
Herausbringen
Inspiriertwerden
Planen
Schreiben
Verkaufen
Vernetzen
Zeichnen

E-Mail-Abo

Deine Email:

Abonniere den Feed dieses Blogs per Mail!

Delivered by FeedBurner

Web
Aktivitäten:
Jählings Webseite
Jähling's English site
Jählings Tweets
Patreon
Umfeld:
LOA
PANEL online
Comicforum

Inspiration:
Millus: Wie werde ich Comiczeichner?
Frank Plein: Der Comic im Kopf
Daniel Gramsch: Aicomic - Zeichenkurs
Lachwitz, der
I Should Be Writing
Jane Espenson
John Rogers
John August

Suche
 
status
  • Einloggen

  • Blogger.de Startseite
    Creative Commons Lizenzvertrag
    Der m(ech)anische Comiczeichner von Max Vähling ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

    ©2006-2016 Dreadful Gate Productions. Impressum und Kontakt.