Die aktuelle Conny-Van-Ehlsing-Geschichte (
Heimsuchung) existiert in zwei Versionen: der veröffentlichten und der, die ich ursprünglich geschrieben hatte. Im letzten Moment habe ich noch eine Szene hinzugefügt, in der sich Conny in dem neuen Haus umguckt, weil ich fand, das gehört zu einem Comic, der das Haus vorstellt. Spaßeshalber habe ich die ursprüngliche Version mal aus den Bildern der offiziellen zusammenmontiert und
in meinem englischen Blog veröffentlicht. Die Reaktionen waren sehr interessant.
Ich möchte hier vor allem eine Sache hervorheben, weil ich dazu Unmengen von Senf zu geben habe. Ein Leser schrieb, die ursprüngliche Version sei insofern besser, als am Ende von Seite drei (zwei in der unveröffentlichten Version, die Ihr hier seht) die Kobolde, um die es geht, noch nicht gezeigt werden. Das baue Spannung auf für die nächste Seite.
Ähnlich - aber das konnte der Leser noch nicht wissen - würde die nächste Seite, wenn ich sie im Sinne des alten Skripts ummontiere, auf einer Eröffnung Connys enden und nicht auf der Reaktion der Kobolde.
Ich habe also zweimal hintereinander klassische Cliffhanger verschenkt, diese abschließenden Spannungsmomente, die es den geneigten Leser kaum erwarten können lassen, die nächste Seite zu lesen (weshalb sie auch als Pageturner bezeichnet werden, aber auf deutsch sagt man eher Cliffhanger).
Das war natürlich Absicht.
Nichts gegen Cliffhanger - wer bin ich, dass ich gegen tausendundein Jahr Erzähltradition anstinken könnte? Denn als Urheberin des Cliffhangerprinzips gilt in der Literatur die sagenhafte Scheherazade, die ihren Tod dadurch herauszögerte, dass sie das nächtliche Geschichtenerzählen immer an der spannendsten Stelle unterbrach und versprach, am nächsten Tag weiterzumachen. Wir modernen Erzähler sind gewissermaßen allesamt Kinder von Scheherazade, denn wir leben davon, dass unser Publikum immer mehr will und uns nicht köpft. Besonders im Webcomic, der meist seitenweise fortgesetzt wird, und bei dem es am Ende der Seite deshalb nicht bloß um ein banales Umblättern geht, sondern ums Zurückkommen beim nächsten Upload.
Aber immer nur Cliffhanger, das ist auf Dauer nicht das Wahre. Man kann zwar die Art des Cliffhangers variieren (ein Gag, ein neuer, rätselhafter Charakter, eine Frage, ein Angriff), aber es ist eben doch Seite für Seite das gleiche Prinzip. Wenn jede Seite im Prinzip gleich strukturiert ist, wirkt der Comic als ganzes schematisch und auf Dauer langweilig.
Dazu kommt im Comic noch ein besonderes Problem: Solange der Cliffhanger nicht ausschließlich im Dialog untergebracht ist, sieht man ihn mindestens eine, im Heft sogar bis zu zwei Seiten lang kommen. Zwei Seiten können ziemlich viel Erzählzeit sein, besonders wenn man das Ende kennt.
Irgendwann gewöhnt man sich auch daran, dass die Spannung gleich zu Anfang der nächsten Folge aufgelöst wird - das muss sein, denn sonst kommt die Story nicht voran -, und dann ist es auch gleich nicht mehr so spannend. In ALIAS hat mich das so genervt, dass ich irgendwann einfach keine Lust mehr hatte weiterzugucken. Das Ende jeder Folge wurde künstlich auf den Anfang der nächsten Folge verschoben, um einen Cliffhanger zu simulieren. Das hat mich in jeder Folge zweimal enttäuscht: am Anfang, weil ich nicht die zunächst noch erwartete Doppelfolge kriegte, und am Ende, weil ich meine volle Mahlzeit aus Anfang, Mitte und Schluss nicht bekommen hatte.
Das mit den Kobolden wäre auch so ein Fake-Cliffhanger geworden. Denn sie bedrohen danach gar nicht Conny, sondern andersrum. Man kann das machen - Fake-Cliffhanger - sollte sie aber vorsichtig einsetzen. (Diese großartige Stelle in Heft 11 von BUFFY Season 8, wo Twilight fast die Maske lüftet, wäre ein gelungenes Beispiel.) Ein Cliffhanger ist ein Versprechen, und ein geschummelter Cliffhanger ist ein Versprechen mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken. Man verspielt dabei ein kleines Stück seiner Glaubwürdigkeit. Ich bewahre mir dieses Kapital lieber für wenn ich es wirklich brauche. Oder den Gag aus BUFFY toppen kann.
Stattdessen habe ich den Lesern am Ende von
Seite 3 (was sonst S. 2 gewesen wäre) etwas gegeben, über das sie wirklich nachdenken konnten. Statt "was kommt da auf Conny zu?" war die Frage: "Was zur Hölle machen die beiden da?" Der Missklang von einerseits Monster, andererseits um die blöde Puppe streiten erschien mir als der bessere Schlussakkord.
Ähnlich auf
S. 4. Ich hätte die Seite leicht mit Connys Rede beenden können. Die Drohung am Ende ist der intensivste Moment der Seite und hätte durchaus einen guten Cliffhanger gegeben. Aber ich fand, die Reaktion der Kobolde, die Connys Rede NICHTS entgegensetzt, verstärkt die Wirkung noch und gibt dem ganzen zugleich eine neue Note.
Ein starker Schlussakkord ist eine feine Sache, besonders wenn man vorhat, beim nächsten Mal genauso stark weiterzumachen. Aber man darf sich nicht auf die Wirkung eines Cliffhangers verlassen. Manchmal ist der leisere Schluss der stärkere.
Viel wichtiger ist es, mit jeder Folge die Handlung voran- und wenn möglich in eine neue Richtung zu bringen. Jede Folge muss in sich ein befriedigendes Leseerlebnis sein. Das Versprechen, dass die Befriedigung nächste Woche folgt, reicht nicht.