Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Dienstag, 7. Oktober 2008
Editing: Und dann kam alles ganz anders...
Schreiben
Als mir mal jemand beim Schreiben über die Schulter guckte (normalerweise hasse ich das, aber in dem Fall war es notwendig, weil ein Gemeinschaftsprojekt) und bewunderte, wie ich diese Dialoge so aus dem Ärmel schüttelte, sagte ich in meinem gemeinschaftsprojektübernächtigten Phlegma etwas, das durchaus wahr ist, auch wenn es vielleicht nicht nett war. Ich sagte:

"Schreiben ist leicht. Kürzen ist schwer."

Nicht nur kürzen. Überhaupt das ganze Editing. Das allerdings zum großen Teil aus Kürzen besteht, vor allem beim Comic. Szenen so aufeinander abzustimmen, dass sie einander ergänzen und ich nicht alles zweimal schreiben muss, oder Dialoge so zusammenzustutzen, dass sie in die Sprechblase passen und trotzdem gut klingen.

Das meiste davon mache ich, bevor ich zeichne. Schon allein, damit ich nicht so viel zeichnen muss, das ich dann eh nicht benutze. Nur Textänderungen können bis zum letzten Moment passieren, wenn ich die Sprechblasen layoute, und der Satz passt einfach nicht rein. Aber alles, was gezeichnet wird, steht schon vor dem Zeichnen fest. (Logisch.) Außer manchmal, wenn eine Szene nicht funktioniert.

Die Seite, an der ich gerade arbeite, hat so eine Szene. Es geht um S. 3 von SANDKASTENGESCHICHTEN, und zwar um den Anfang der Seite. Das sage ich, damit Ihr jetzt schnell zu S. 1 und S. 2 rüberklickt, dann wisst Ihr, worum es geht, und ich muss im Folgenden keine Rücksicht auf Spoiler nehmen. Denn ich nehme mal die Gelegenheit wahr, das Umschreiben einer Seite gewissermaßen in Echtzeit zu dokumentieren. (=Während ich darauf warte, dass die Zeichnung trocknet.) Da kann ich auch endlich mal wieder etwas mit mehr "Nuts&Bolts"-Charakter schreiben.

Die Situation: Conny hat die beiden Jungs (der eine hat noch keinen festen Namen, zur Zeit nenne ich ihn Pip; der andere hat sogar drei Namen, der treffendste ist Gaijin) gerade zur Monsterjagd aufgerufen. Es folgt die Vorbereitung. Ursprünglich wollte ich noch ein Extrapanel haben, in dem die Jungs wenig begeistert sind und Conny deutlich macht, wie wichtig es ist, dass jetzt mal die Kinder die Monster jagen statt immer andersrum. Dann die eigentliche Vorbereitung. Jeder hat etwas mitgebracht, dass für die Jagd gebraucht wird. Eine Sandschaufel, Niespulver und, als ein Element, das gezielt keinen Sinn ergibt, Murmeln.

Aus Platzgründen - die Seite endet mit enem klaren Höhepunkt, den ich ncht nach hinten verlegen wollte - habe ich den ersten "Beat" von vornherein rausgeschmissen. Hier also die Szene, nach der letzten Fassung des Skripts:
Panel 1
Hände über Sand.
Pip reicht eine Sandschaufel ins Bild.

PIP
Ich habe die Schaufel dabei.

CONNY
Gut. Gaijin?


Panel 2
Gaijin wirft ein paar Murmeln in den Sand.

GAIJIN
Nenn mich nicht so. Ich habe Murmeln, darauf kommt jeder ins Trudeln.

CONNY
Naja, ich bin mir nicht sicher. ob es Beine hat.


Panel 3
Conny wirft eine Tüte Niespulver dazu.

PIP
Niespulver?

CONNY
Ich wollte ja Pefferspray, aber das hat meine Mami nicht erlaubt.

Das funktionierte noch nicht. Zum einen fehlte der - mir dann doch - wichtige Aspekt, dass jetzt der Spieß umgedreht werden soll. Zum anderen ist die Szene graphisch langweilig.

Aber wie sollte ich beides vereinen? Zumal ich nur eine Bildzeile Platz hatte. Die Lösung ist mir erst beim Nachbearbeiten des Scans, also ziemlich spät, eingefallen.

Ich lasse einfach Conny alles mitbringen. Dann reicht ein Bild, und ich kann auf den beiden anderen die Sache mit dem Spieß unterbringen.
Panel 1
Die Jungs starren Conny an.

CONNY
Jungs, Ihr seid doch noch dabei, oder?


Panel 2
Conny, fassungslos.

CONNY
Das haben wir doch besprochen! Seit Ewigkeiten jagen die Monster die Kinder, und deshalb müssen wir jetzt den Spieß umdrehen und anfangen, die Monster zu jagen!

PIP oder GAIJIN
Ja, schon gut.


Panel 3
Conny zückt Niespulver und Schaufel.

CONNY
Gut. Ich habe alles dabei. Schaufel, Niespulver...

GAIJIN
(off)
Niespulver?

CONNY
Ich weiß. Ich wollte ja Pfefferspray, aber das hat meine Mami nicht erlaubt.

Alles drin. Aber: ein Panel mit Reaktionen, eins mit viel Dialog - das wird eng. Ich dachte kurz daran, ein Bild mit allen dreien von weit weg und in klein zu zeichnen, mit sehr viel Dialog drüber, aber den Trick möchte ich mir lieber noch aufbewahren, bis ich ihn wirklich brauche. Dann überlegte ich, den Konflikt in den ersten beiden Bildern wegzulassen und nur Connys Exposition zu zeigen, aber Konflikt ist immer wichtiger als Exposition. Dann hatte ich es.
Panel 1
Im Vordergrund redet sich Conny in Begeisterung, im Hintergrund, von ihr unbemerkt, simulieren die Jungs Kotzgesten und rollen mit den Augen.

CONNY
Sie haben uns lange genug gejagt. Wir müssen den Spieß umdrehen. Es wird Zeit, dass die Kinder die Monster jagen!


Panel 2
Conny zückt Schaufel und Niespulver.

CONNY
Ich habe alles dabei. Schaufel, Niespulver...

GAIJIN
(off)
Niespulver?

CONNY
Ich weiß. Ich wollte ja Pfefferspray, aber das hat meine Mami nicht erlaubt.

Der gleiche Konflikt, aber er wird auf eine andere Art ausgetragen. Auch optisch passiert mehr. Und Gelegenheiten, eine Spannung zwischen Vorder- und Hintergrund aufzubauen, sollte man eh nie ausschlagen. Jetzt gibt es nur noch zwei Probleme. Der Übergang von den Kotzgesten zu den braven, zuhörenden Jungs erfordert eigentlich, dass ich sie zeige, wie sie wieder geradesitzen und zuhören. Oder kann man sich schon denken, dass sie ihre Faxen nie so machen würden, wenn Conny guckt? (Nicht dass sie so nett wären, sie haben schlicht Angst vor Conny.)

Lösung: Ich habe gerade einen sehr kleinen Gaijin in den Hintergrund des zweiten Bildes gezeichnet, der zu Conny rüberblickt und keine Kotzgesten mehr markiert.Ich weiß noch nicht, ob er bleibt - kann sein, dass ich den Platz für Text brauche - aber rein optisch funktioniert's.

Das zweite Problem: das erste Bild nimmt ein bisschen von der nächsten Szene vorweg, wo die Jungs über Connys Monsterbeschwörung lästern. Die Szene brauche ich aber, schon aus graphischen Gründen. Naja, damit kann ich leben.

Und die Murmeln? Seien wir ehrlich, das ist so einer der Gags, mit denen viele Leute nicht viel anfangen können. Die Konvention besagt, dass jeder Gegenstand, der im ersten Akt hervorgehoben wird, spätestens im dritten eine Rolle spielen muss. Für mich liegt der Reiz gerade darin, das zu umgehen. Und es sagt etwas über Gaijin aus, nicht für sich, eher im Zusammenhang und sehr unterschwellig. Aber ich weiß ja: Wenn hundert Leute im Kino sitzen und nur einer lacht, und der eine ist der Autor, dann stimmt was mit dem Gag nicht. Und Platz hatte ich auch keinen.

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