Im Moment bin ich nicht der Rührigste, was vor allem an den vielen Nachtschichten liegt. Statt wie ein Besessener am englischen Conny-Heft, am zweiten Download oder dem zweiten Conny-Band zu arbeiten (geschweige denn am Neuen Heft), sitze ich viel auf dem Balkon und lese alte Asterix- und Lucky-Luke-Comics. Man sollte ja meinen, wenn man einen Witz erstmal kennt, braucht man ihn nicht nochmal erzählt zu kriegen, aber die Dinger lese ich immer wieder, und jedesmal muss ich über die gleichen Witze lachen.
Das Besondere an Goscinnys Schreibe sind dabei weniger die Gags als die Art, wie sie aufgebaut werden. Goscinny ist ein Meister darin, dieselbe Situation mit verschiedenen Figuren und aus verschiedenen Perspektiven immer wieder neu zu interpretieren. Geschickt über die Dauer des Albums verteilt, ist das jedes Mal ein vollwertiger Gag, der mit dem wiederholten Gebrauch nicht lahm wird, sondern sich steigert. Jedes Mal kann der neue Gag von den vorherigen profitieren. So sind die Spinnereien von Rantanplan in LUCKY LUKE nie einfach nur Dummheit, sondern folgen einer eigenen Logik, in der jede neue Wendung ihre Plausibilität hat. Averell Dalton dagegen - so viel Kritik sei erlaubt - ist einfach nur doof und damit auf Dauer langweilig. Daran zeigt sich, wie charakterbasiert selbst die klamaukigsten Szenen sind. Ein Rollentausch, in dem Averell Rantanplans Grillen kriegt und umgekehrt, würde nicht gehen.
Der Humor in meinen Comics ist völlig anders, er hat eine andere Richtung und baut auf anderen Voraussetzungen auf. Sich selbst steigernde Gagreihen kann ich in meinen Kurzgeschichten schon aus Platzgründen nicht bringen. Sattdessen ziehe ich meinen Witz aus der Absurdität einer Grundituation. Ich lege auch Wert darauf, nicht zu sehr ins Humorige abzudriften. Etwa zweimal in den letzten zehn Jahren habe ich einen Gag gebracht, von dem ich selber nicht überzeugt war, aber dachte, dass er wohl ankommen würde. Habe ich beide Male bereut. (Nein, ich verrate nicht, welche. Das merkt man doch beim Lesen!)
It's the Character, not the Gag
Guter Humor ist eigentlich immer charakterbasiert. Klar gibt es auch immer mal einen Lacher, der auf Klischees und Ausrutschern basiert, aber selbst der simpelste Slapstick muss entsprechend aufgebaut werden, damit er wirkt. Darum ist es auch nicht witzig, wenn sich in den Homevideo-Shows im Fernsehen Leute auf die Fresse legen. Es fehlt der Aufbau der Situation, die in uns das Gefühl weckt, dass das Aufdiefresselegen erzählerisch gerechtfertigt ist. (Dass diese Sendungen trotzdem erfolgreich sind, liegt nicht an den Gags, sondern daran, dass Zuschauer ihren Videorotz da einschicken und sich 15 Sekunden lang wie Fernsehproduzenten fühlen dürfen.)
Ein Lacher muss verdient werden. Aufgebaut wird auch der simpelste Klamauk über die Figur, der er passiert, und die Situation, in der er passiert. Ich rühme mich ja, bereits zweimal dem ollen Bananenschalengag neue Pointen abgewonnen zu haben. Einmal in
MAXIMILIAM EFEU:
Das war der allererste Max-Efeu-Strip, und seine Aufgabe war natürlich, in drei Bildern ein Gefühl für den Charakter zu vermitteln. Aber der eigentliche Gag ist nicht Max' Ausrutscher, sondern der Ausrutscher ALS Erläuterung von Max' philosophischer Bemerkung vorher. Und die Reaktion seines Begleiters.
Nach nicht mal zwanzig Jahren hatte ich den nächsten Bananenschalengag fertig, diesmal in
GRAF X:
Wieder benutze ich die Bananenschale, um etwas über die Hauptfigur zu erzählen. Der Strip handelt von seinem moralischen Dilemma, und die Banane bietet einen gezielt billigen Ausweg. Der eigentliche Gag ist, dass Graf X keine Skrupel hat, diese billige Lösung zu akzeptieren und sogar zur Bekräftigung seiner Moral auszunutzen. (In beiden Fällen ist die Bananenschale eigentlich egal für diesen Gag. Max bzw. Harry könnten auch auf eine Harke treten oder gegen einen Laternenpfahl laufen. Ich habe die Bananenschale zwar bewusst gewählt, um gerade aus ihrer Ausgelatschtheit Kapital zu schlagen, um die Unfälle noch banaler wirken zu lassen. Aber das ist ein Nebengag.)
Der Unterschied
Im amerikanischen Fernsehen unterscheidet man zwischen "hard jokes" und "soft jokes". (Näheres darüber findet sich bei der wundervollen
Jane Espenson.) Der Unterschied liegt darin, wie der Witz aufgebaut wird. "Hard jokes" sind nicht einfach gröbere Gags, sondern Witze, die aus der Konstruktion und der Formulierung des Gags selber leben. Sie tragen ihren Aufbau in sich und lassen sich deshalb gut hin- und herschieben. Sie werden gerne in Sitcoms benutzt und entsprechen der Arbeitsweise der Redaktionen, der "Writers' Rooms", die ihre Folgen mehr oder weniger schreiben, indem sie Gags in den Raum werfen und dann zu einer Handlung kombinieren. Außerdem sind die amerikanischen TV-Sitcoms nur etwas über 20 Minuten lang, da kann man keine Zeit auf einen langwierigen Charakterbogen verwenden, der den Gag erdet. Zumal wenn man in der Zeit genausogut fünf weitere Witze unterbringen könnte. Welche Figur den Witz liefert, ist trotzdem nicht egal, zumindest wenn die Sitcom was taugen soll. Die besten Sitcoms, wie FRIENDS oder die SIMPSONS, sind mit ihrer Charakterzeichnung schon fast an der Grenze zum TV-Drama.
Die "soft jokes" ziehen ihre Grundierung nicht aus der Genauigkeit der Formulierung, sondern aus der Situation, in der der Witz gebracht wird. Sie sind in weit größerem Maß charakterorientiert, weil der Charakter des Aussprechenden zu dieser Grundierung gehört. Aber auch die Szene selber. Eine dramatische Szene bringt immer die Handlung voran und verhandelt das Verhältnis der Figuren. Ein Gag in einer dramatischen Szene funktioniert nur, wenn er das auch tut und dem Ziel der Szene nicht im Weg steht. Dabei kommt es weniger auf die genaue Formulierung und den Aufbau des Gags an als darauf, was sie über die Charaktere aussagen. Deshalb heißen sie ja "weich", man kann sie noch formen.
Ich habe
Jane Espenson erwähnt, und jetzt kann ich sie nicht mehr unerwähnen. Espenson, seinerzeit bekannt als "die witzigste Buffy-Autorin, die nicht Joss Whedon heißt", hat in ihrem Blog über die Monate eine Typologie der Film-Gags entwickelt, von den harten, konstruierten Sitcom-Witzen bis hin zum vergeblichen Versuch einer dramatischen Figur, witzig zu sein, der dann durch seine Vergeblichkeit witzig ist. Sehr empfehlenswerte Literatur. Ich weiß nicht, ob schon jemand versucht hat, ihre Einzeldarstellungen zu systematisieren, aber wer weiß. Ansonsten lest einfach ihr Blog von vorne bis hinten durch, die Zeit ist gut investiert. Espenson sagt aber auch noch etwas anderes, das wir nie vergessen dürfen (sie sagt es über die Handlung, nicht die Witze, aber es gilt auch hier):
Der Plot Deiner Geschichte ist wichtig, aber nur, weil er Deinen Charakteren passiert. Wenn die Charaktere egal sind, sind es die Ereignisse, die ihnen zustoßen, auch. Das gilt genauso für Witze: Wenn der Gaglieferant eine langweilige Klischeefigur ist oder eine anonyme Wegwerffigur, dann ist auch der Witz ein Wegwerfwitz. Die Kunst beim Schreiben ist, nicht einfach lustige Sachen auszudenken, sondern die Art von Witz zu finden, die der Geschichte, den Figuren und der Situation entspricht.
Langer Rede kurzer Sinn: Finger weg von Gags um der Gags willen! Viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Effekt.