Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Freitag, 1. Februar 2008
Mehr Fetisch
Herausbringen
Das Probecover für Cony 1.1. Ich habe das Cover des ersten Conny-Heftes ausgedruckt, ausgeschnitten und - jetzt kommt's - zusammen mit irgendeinem Ami-Heft in eine dieser Plastikhüllen gesteckt. Warum?

Damit es sich wie ein richtiges Heft anfühlt. Solange das Heft nur in Ausdrucken und Dateien existiert, ist dieser Dummy so ziemlich das heftähnlichste, was ich machen kann. Dieses Objekt, oder vielmehr diese Simulation eines Objekts liegt gerade auf meinem Schreibtisch und versprüht Objekthaftigkeit, jene Autorität, die Dinge einfach dadurch haben, dass man sie sieht und - zumindest im Prinzip - anfassen kann. Auch wenn es nur ein Bild in einer Tüte ist, durch das Heft dahinter hat es die richtige Biegsamkeit und das richtige Gewicht. Und es erzählt mir mehr über das endgültige Heft, als es mein A4-Probeausdruck je könnte. Reizt es mich dazu, es in die Hand zu nehmen? Fühlt es sich echt an oder doch eher wie etwas selbstgebasteltes? Es geht um den Fetischcharakter. Um das zu erläutern, greife ich noch mal in die Musiktruhe. (Muss ich nicht, will aber.)

Neulich bin ich mal wieder auf eine Band gestoßen, die ihre Musik seit jeher als Gratisdownload veröffentlicht. Carbon/Silicon sind Mick Jones (Ex-Clash und -Big Audio Dynamite) und Tony James (Ex-Generation X und -Sigue Sigue Sputnik), hätten es also eigentlich nicht nötig, sich mit Downloads beliebt zu machen. Sie wollten es so. Jones hat mit Big Audio Dynamite bereits früh Gratisdownloads angeboten, war für ihn also nichts neues. (Von James weiß ich's nicht, ich komme eher aus der Clash-Ecke.) Irgendwann letztes Jahr haben sie dann doch eine richtige CD gemacht, aus zwei guten Gründen: Zum Einen aus taktischen Gründen:

"We can do what we want because WE are the record company but releasing this CD is just adding another element because now they’re playing our CD on radio, we’re doing interviews and we’ll probably go on TV... because to the music business having a CD is the currency they recognize.....at least for the moment......"*

Zum Anderen mögen sie einfach CDs, denn feste Objekte eignen sich nun mal besser zum Fetisch:

"Well the game of Rock and Roll is changing all the time, none of us know what will happen next and we’re just doing what we can... but at this time it still feels right to hold a CD in my hand, a tangible product with a booklet and a cover..."*

Geschichte manifestiert sich in Gegenständen. Du nimmst sie in die Hand, und sie erzählen Dir von ihrer Welt. Das ist der Fetischcharakter der Dinge. James führt es in dem oben zitierten Blog noch weiter aus und erzählt von Dates, bei denen er erstmal die Plattensammlung der Gedateten durchwühlt. Ich meine, wer will schon mit jemandem ausgehen, der Modern Talking hört? Ich meine, freiwillig?

Ich war nie ein großer Freund der CD. Ich bin mit Vinylplatten aufgewachsen, und die CD war für mich nur eine Verschwörung der großen Plattenfirmen, uns doppelt so viel Geld abzuknöpfen. Vor allem aber waren sie weniger sinnlich. LPs waren groß, 30 cm, die Hüllen hatten Auf-den-Schoß-leg-Format. Sie waren aus Pappe und rochen ein wenig muffig, wie alte Pilze, um mal ein Bild von Max Goldt aufzugreifen. CDs, mit ihrer Metallic-Oberfläche und dem Hartplastikkondom, in dem sie geliefert werden, sind als Produkt der Achtziger Jahre genauso symptomatisch wie Modern Talking und Giorgo Moroder. Ein Medium zum schnellen Konsumieren und anschließendem Abwischen. Keine Spuren zu hinterlassen, gehört zum Selbstverständnis der CD-Ära.

MP3s waren für mich eine Befreiung aus dem Korsett der Plattenindustrie, und das sind sie immer noch. Klar, der Sound ist schlechter, aber das war er bei der CD anfangs auch. Wichtiger: MP3s sind "unser" Medium. JedeR kann sie herausbringen, die Hierarchien sind nicht abgeschafft, aber zumindest in Frage gestellt. Mein Verdacht ist, dass die Branchenriesen davor mehr Angst haben als vor den angeblichen Umsatzeinbußen.

Aber es gibt genug Leute, und nicht nur aus der Post-Vinyl-Generation, für die die CD ebenfalls ein begehrenswertes Objekt ist. Und in der Konkurrenz zum Download kann sie es auch wieder werden bzw. weiter bleiben - indem man sie noch begehrenswerter macht, mit Extras und Pappcover und liebevollem Design. Das passiert schon lange, und ich denke, es wird in Zukunft noch mehr passieren. Mehr Fetisch. Daneben hat die Veröffentlichung als LP für Sammler immer noch Konjunktur. Noch mehr Fetisch.

In Deutschland bringe ich Conny als Album heraus, nicht nur als zwei Hefte. Ein Album ist einfach mehr Fetisch als zwei Hefte. Naja, und all die anderen Gründe, die ich bisher genannt habe. Übrigens, aus genau dem gleichen Grund bringe ich Conny auf englisch nicht als Album heraus, sondern als zwei Hefte. Die kann man mal zwischendurch auf den Markt schmeißen, aber für ein Album - oder Trade Paperback - fehlt mir im Ausland einfach die Vertriebsmöglichkeit. Das wäre mir dann doch zu sehr Perlen vor die Säue. Mein Projekt für das zweite Halbjahr 2008 ist, zumindest zu versuchen, einen Verlag oder Vertrieb zu finden, der das besser kann, der dem Objekt einen passenderen Rahmen geben kann.

Ihr seht also, ich bin durchaus auch ein Mensch des letzten Jahrhunderts. Sonst würde ich ja nur noch Downloads anbieten.

___________

*) Zitiert nach einem der Blogeinträge mit dem passenden Namen "This CD's dying... Could you sign it for me?". Leider kann ich den nicht einzeln verlinken.

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