Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Sonntag, 19. August 2007
Warum ich keinen Mainstream mache
Inspiriertwerden
In der letzten Ausgabe des ZEIT-Magazins beschreibt der ehemalige SAT1-Chef Roger Schawinski das Scheitern einer ambitionierten Krimiserie. Die Serie, das völlig untergegangene BLACKOUT, habe ich nie gesehen - ich bin auch nicht das Publikum für TV-Mehrteiler, weil ich eigentlich nur bei der Nachtschicht fernsehe, und das viel zu unregelmäßig. Und selbst wenn, hätte ich BLACKOUT wahrscheinlich nicht gesehen. SAT1? Mehrteiler? Bin ich der einzige, der dabei an kitschigen Historienmist denkt? Ich konnte doch nicht wissen, dass die Macher ausnahmsweise auf "die spannende Liebesgeschichte und (...) den ewig gleichen Klassiker: die Dreiecksbeziehung" verzichtet und auch sonst vieles anders gemacht hatten. In Schawinskis Beschreibung klingt die Sendung wunderbar. Aber ein Publikum wie mich hat sie nicht erreicht.

Das hat sie auch gar nicht versucht, denn das Ziel war nicht, anspruchsvolles Nischenfernsehen mit Kultpotential zu schaffen, sondern ein Massenprodukt, und dann noch ausgerechnet für die Masse der SAT1-Gucker. Wenn sich Schawinski wundert, dass die Quote schon beim Vorspann gegenüber der vorigen Sendung von 22 auf 7 Prozent gesackt ist, zeigt sich der große Denkfehler: Das Vorpropgramm war nämlich kein Thriller oder irgendwas intelligentes für das Publikum, das auch BLACKOUT geguckt hätte, sondern der Quotenschwulst NUR DIE LIEBE ZÄHLT. Klar schalten die Kitsch-Junkies, die so was gucken, aus, sobald die Schleimspur nachlässt.

Im Grunde wurden zwei Fehler gemacht, die beide aus der gleichen falschen Grundannahme resultieren: einer bei der Produktion, einer bei der Vermarktung. Besagte Grundannahme ist natürlich, dass diese Sendung um jeden Preis einem SAT1-Massenpublikum aufs Auge gedrückt werden musste.

Produktion

Von Anfang an haben Leute mitgeredet, die keine wirkliche Vorstellung von dem angedachten Produkt hatten. Ihr Anliegen war nicht, die Vision der Kreativen möglichst professionell und wirkungsvoll umzusetzen. Stattdessen brachten sie Argumente wie "nicht genug Wärme für die Frauen im Publikum". Das ist einerseits verständlich. Es geht um viel Geld, und das Interesse des Senders ist, ein Produkt zu schaffen, das sich möglichst breit vermarkten lässt. Dabei geht der Sender aber weder vom Produkt aus und der Frage, an wen sich genau dieses Produkt eigentlich vermarkten lässt, noch vom eigentlichen Publikum. Stattdessen wird mit einer Setzkastenvorstellung des Publikums gearbeitet. DIE FRAUEN wollen Wärme, DIE MÄNNER Action. Das geht meistens sogar gut, denn die meisten Programme sind selber nach Setzkastenmotiven aufgebaut. Je komplexer eine Sendung ist, desto mehr spricht sie aber den indiviuellen Zuschauer an, und der hat IMMER einen anderen Geschmack als der Setzkastenzuschauer. Ab einem gewissen Grad kann man überhaupt nicht mehr vom erwarteten Publikum aus argumentieren, denn erstens kennt man es nicht, und zweitens ist diese Marktsprech mit der Kunstsprech der Kreativen einfach nicht mehr zu vermitteln.

Richtiger wäre deshalb, vom Produkt auszugehen. Auch da gibt es verallgemeinerbare Maßstäbe, um sicherzugehen, dass man nicht völlig an den Zuschauererwartungen vorbeiproduziert. Narrative Argumente. Hat die Sendung eine erkennbare und aktive Hauptfigur? Hat sie ansprechende A-, B- und C-Handlungen? Hat jede Folge einen Payoff, also einen befriedigenden Abschluss, der den Zuschauer nicht mitten im Satz hängen lässt? Entsprechen die "Production Values" dem aktuellen (Höchst-)Stand der Technik? Je mehr Abstriche man dagegen zugunsten von Variablen macht, die außerhalb des Werkes liegen, desto mehr wird das Werk kompromittiert. Und je weniger diese äußeren Variablen aus der Wirklichkeit abgeleitet sind, je mehr sie auf abstrakten Vorstellungen beruhen, desto mehr opfert man die Integrität des Werks für gar nichts.

Wie gesagt, ich will damit nicht behaupten, dass die Marleting-Strategie völlig falsch ist, nach der ein Programm für bestimmte Vorstellungen von den Publikumserwartungen produziert wird. Bei NUR DIE LIEBE ZÄHLT hat das ja offenbar funktioniert. Aber NUR DIE LIEBE ZÄHLT ist ja auch ein selten dämliches Dumpfbackenprogramm. Kleinster gemeinsamer Nenner, nach dem Motto: "Jede eigene Geschmacksnote ist schon ein Ausschlusskriterium." Es wird ja gerne vergessen, dass viele erfolgreiche Serien sich nicht durch einen eigenen Charakter auszeichnen, den alle toll finden, sondern durch das Ausbleiben von Charaktereigenschaften, die jemanden abschrecken würden.

Das Problem an dieser Publikumsnachlaufe ist: Die Darstellung von Publikumssegmenten aufgrund von Abstraktionen aufgrund der Deutung von Publikumsreaktionen, das ist bereits so viele Schritte vom eigentlichen Publikum entfernt, dass man damit nur die seichtesten Massenprogramme beurteilen kann. Jede Sendung, die den Anspruch hat, den Zuschauer als intelligentes Wesen anzusprechen, hat bereits von vornherein ein anderes Zuschauerbild und entzieht sich damit der Fast-Food-Spirale. (Fast Food wird ebenfalls nach diesem Prinzip produziert: Möglichst wenig Geschmack, um möglichst wenige Geschmäcker abzuschrecken. Auch der Nähwert deckt sich mit dem solcher Sendungen. Wenn diese Imbissketten mal was mit Geschmack produzieren, ist das gleich ein Event. Ich sage nur: Los Wochos.)

Marketing

Aber man wollte halt alle ansprechen. Das geht auch mit niveauvollem Programm, wie der TATORT immer mal wieder zeigt. Ich will gar nicht von den vielen amerikanischen Serien reden, die regelmäßig und sehr erfolgreich Niveau, spezifische Geschmacksnote und ein großes Publikum zusammenbringen. Aber das ist Amerika, wo selbst die kleinste Marktnische noch groß genug ist, dass sich die Produktion lohnt.

SAT1 hat BLACKOUT auf den Sonntagabend gelegt, auf einen Sendeplatz, an dem alle Konkurrenzsender das Tafelsilber herausholen und damit ein festes, an bewährte Konzepte gewohntes Publkum bedienen. Ohne auf das Programm des ersten Abends zu gucken, schätze ich mal, dass die Zuschauer, die BLACKOUT sonst groß gemacht hätten, alle den TATORT geguckt haben. Wer den schon kannte, wird sich trotzdem nicht auf SAT1 verirrt haben, denn da läuft ja bekanntlich nie was gutes. Doch, zum Marketing gehört auch die Platzierung.

Es sollte Prime Time sein, damit sich die Produktionskosten lohnen. Schon falsch. Auch ein späterer Sendeplatz kann durchaus seine Quoten einspielen, was die Krimiserien nach 22:00 auf den anderen Privaten zeigen. Sonntag ist einfach für viele Tatort-Tag. Oder Heimatschnulzen-Tag. Oder Spielfilm-Tag. Nicht Mal-was-neues-gucken-Tag. In der Woche, an einem der vielen Krimi-Spätabende, hätte der Sender vielleicht das richtige Publikum gefunden, besonders wenn auf den anderen Sendern nur Wiederholungen gelaufen wären. Wenn zufällig gerade CSI in Wiederholungen gelaufen wäre, hätte sich auch der Acht-Uhr-Termin am Mittwoch gelohnt. Keiner dieser Termine hätte alleine über Werbekosten die Produktion eingespielt, aber so darf man eh nicht denken. Die Werbekosten PLUS die anschließende DVD-Vermarktung (die übrigens bis heute ausgeblieben ist) PLUS die zusätzlichen Zuschauer von anderen Sendern, die SAT1 plötzlich doch nicht so dämlich finden - DAS ist der Profit, den man gegen die Produktionskosten verrechnen muss. Klar ist es bequemer, die Produktionskosten gleich mit der Erstausstrahlung einzufangen. Aber der Sinn von Prestigeobjekten ist nicht, Profit zu schaffen, sondern Prestige. Da darf man sich nicht bei ablenken lassen.

Dann die Zusammenlegung von jeweils zwei Folgen, damit aus der Miniserie ein Mehrteiler wird. Denn Miniserien sind nicht leicht zu vermarkten, Mehrteiler schon. Kitschige, aufgeblasene Event-Mehrteiler mit vielen Stars und vorhersehbarer Setzkastenhandlung jedenfalls. Man hat sich also auch hier entscheiden, die Besonderheit der Sendung unter den Teppich zu kehren und sie als Ausläufer eines anderen, erfolgreichen Konzepts zu verkaufen.

Ich weiß nicht, wie breit die Sendung dann umworben wurde. Auf jeden Fall gab es Werbeclips während des üblichen SAT1-Programms, aber die hat natürlich nicht das Besonderheiten-Publikum erreicht, denn das guckt ja nicht SAT1. Gab es Anzeigen in TV-Magazinen? Wenn ja, unter welchen Vorzeichen? "Der neue, große SAT1-Mehrteiler"? Wurde die Besonderheit des Programms hervorgehoben oder unter den Teppich gekehrt? Clips auf anderen Sendern? Ihr wißt schon, da wo die Zuschauer sitzen, die so was interessieren könnte?

Von FIREFLY lernen

Schawinski zieht am Ende des Beitrags sechs Schlussfolgerungen, die aber eigentlich nichts mit dieser Sendung zu tun haben. Essenz der Folgerungen ist: Dieser Mehrteiler war anders als die bisher erfolgreichen SAT1-Mehrteiler, und das war der Fehler. Das ist natürlich Quatsch. Der Fehler war, die Serie überhaupt in eine Kategorie mit den SAT1-Mehrteilern zu quetschen.

Richtig wäre gewesen:

1. Eine Serie zu produzieren, die sich von anderen durch klare Besonderheiten unterscheidet. Dabei auch die Produzenten genau darin zu unterstützen, dass sie ihr eigenes Ding machen.

2. Die Besonderheiten nicht unter den Teppich zu kehren, sondern hervorzuheben - bei der Produktion, beim Marketing, bei jeder Gelegenheit.

3. Einen Sendeplatz zu finden, der diesen Besonderheiten entspricht, auch wenn der nicht zur Prime Time ist.

4. Abhängig vom fertigen Produkt die Zielgruppe zu bestimmen, nicht umgekehrt, und diese Zielgruppe so direkt wie möglich anzusprechen. Das hätte erfordert, die SAT1-üblichen Marketingwege sowohl inhaltlich ("Das große TV-Event! Diesmal nicht!") als auch senderspezifisch (halt wo sie gerade gucken) zu verlassen. (Wie gesagt, ich weiß nicht, ob sie das gemacht haben. Genaugenommen hatte ich, bis ich auf diesen Artikel stieß, noch nie von der Sendung gehört.)

5. Die Einkommenserwartungen auf mehrere Quellen zu veteilen. Statt der Werbeeinnahmen-Monokultur den Kultstatus zu fördern und schnell eine DVD herauszubringen. (Siehe auch die Zwischenüberschrift.)

6. Was dadurch nicht eingefahren wird, als Investition in die Glaubwürdigkeit des Senders zu verstehen.

Oder kurz:

1-6. Eine Nische zu finden und zu füllen.

Das ist ja, was ich die ganze Zeit versuche. Ich weiß, dass meine Comics nicht das große Massenpublikum ansprechen. Ich habe eine Nische in einer Nische in einer Nische, das sind ziemlich wenige Leute, aber die mögen meine Sachen umso mehr. Ausbauen kann ich diese Nische nur, indem sich die Besonderheit meiner Comics herumspricht, nicht durch Anpassung an was auch immer ich unter Massengeschmack verstehe. Die Erfahrung habe ich schon vor Jahren gemacht: immer wenn ich eine Szene oder einen Gag mit dem Gedanken geschrieben habe, das würden "die Leute" lesen wollen, wollten sie es am Ende genausowenig lesen wie ich.

Hihi, und Ihr dachtet schon, ich würde gar nicht mehr über meine Arbeit schreiben in diesem Beitrag, hm?

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