Vor etwas über einem Jahr habe ich aus einer Laune heraus an einem Wettbewerb für ein Buchcover teilgenommen. Ich rede natürlich von Mathias Klangs "Disruptive Technology", für das ich dann ja auch tatsächlich den Einband gestalten durfte.
Was soll ein Cover tun?
Was Mathias als "Landslide victory" meines Entwurfs in der Abstimmung durch die Blog-Leser formulierte, war allerdings um einiges komplexer. Zunächst ging mein Vorschlag klar in Führung, dann streute sich das Feld. Es wirkte so, als wäre es plötzlich uncool geworden, für meinen Entwurf zu sein. Ist ja auch klar, wir lieben schließlich alle den Underdog und nicht den Overdog oder wie das heißt. Dann fingen einzelne Leute an, mein Bild zu demontieren, als wollten sie um jeden Preis verhindern, dass es durchkommt. Das meiste davon war nicht weiter erleuchtend - man mag halt Comic-Stil, oder man mag ihn nicht. Ein Beitrag jedoch stach heraus:
"While the concept of number 8 (das war meiner) is a good metaphor, Its graphic sophistication leaves something to be desired, there is no intrigue, no motivation to investigate further, it's all right out front, immediately processed, and judged by the viewer for relevancy. In a traditional retail setting the objective is to reel them in till they are reading the liner notes."
Das kann man nicht ganz abstreiten. Ein Buchcover sollte immer dazu verführen, das Buch in die Hand zu nehmen, denn es wegzulegen und weiterzugehen ist immer schwerer als es ganz zu ignorieren.
Vorausgesetzt, das Buch steht im Buchgeschäft.
Mathias hat das Buch im Verlag seiner Universität herausgebracht, die nicht die kleinste, aber eben "nur eine" schwedische Bibliothek ist. Mathias' Leserschaft, spätestens durch das Blog, ist weltweit. Die meisten dieser Leser, so meine Überlegung, würden das Ding niemals in einem Buchgeschäft sehen. Sondern auf einer Webseite mit unzähligen weiteren Informationen, von denen das Cover nur eine ist. Eigentlich mehr eine Illustration der Produktinformation als der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung, den ein Buchdeckel im Laden darstellt.
"Right out front" schien mir der richtige Ansatz für so ein Publikum. (Einen kleinen Bonus zum In-die-Hand-Nehmen habe ich trotzdem dazugetan, denn die Telefondrähte ziehen sich um den ganzen Einband und gliedern sowohl den Buchrücken als auch die Rückseite.)
Das Motiv selber muss natürlich umso ansprechender sein - es kann ja nicht mehr durch die Präsenz des Buches verstärkt werden und muss, wenn das Buch im Onlineshop präsentiert wird, außerdem die Maske des Shops überstrahlen, die meistens doch eher unsexy ist. Ich habe mich in diesem Fall für einen spielerischen Umgang mit dem Grundgedanken entschieden. Dass gerade die ersten Kommentatoren den Vorschlag mochten, spricht sicher für die These von der vordergründigen Wirkung. Aber das Bild erzählt auch eine Geschichte, und spätestens dann ist man "drin". Oder das war jedenfalls die Idee.
Wo soll das Cover stehen?
Der Beitrag hat mich zum Nachdenken gebracht, nicht auf der Ebene des Motivs, sondern auf der des Gesamterlebnisses. Was ist heute die primäre Ansicht eines Covers? Die Live-Situation im Geschäft? Zusätzliche Werbemittel wie Aufkleber und Plakate? Oder das "Thumbnail" auf der Produktdetailseite eines Online-Shops?
Ich denke, die reduzierte Darstellung im Netz gewinnt an Bedeutung. Reduzierte Darstellungen hat es immer gegeben, etwa in Katalogen. Aber je bequemer es wird, die Dinge aus dem Katalog gleich zu bestellen, desto mehr wird das zur primären Ansicht des Covers. Noch deutlicher wird das bei Produkten, die gar nicht mehr haptisch sind, wie mp3s und eBooks. HIer besteht das ganze Produkt aus digitalen Informationen, und das Buch ist nicht mehr notwendig ans Cover geknüpft.
Im Prinzip ähnelt diese Situation derjenigen, die in den Achtzigern die Plattencover ruinierte. Das Hauptmedium für Musik war halt die CD mit ihren lächerlichen 12 cm Breite, und so erschienen ab ca. 1987 immer mehr LPs mit detailarmen, langweiligen Titelbildern auf 30cm Breite. Ich bin gewiss nicht dafür, die Titelbilder von CDs und Büchern nochmal zu verarmen, damit sie im Netz gut aussehen, aber ich halte es für notwendig, dass sie im Thumbnail gut zu erkennen sind.
Da wäre erstmal das Bild. Der Kern des Motivs muss auf den ersten Blick erkennbar sein. Right up front. Als Comiczeichner ist mir dieser Gedanke vertraut - mit genau dem Gedanken lege ich Skizzen meiner Comicseiten an. Was man in diesen "Thumbnails" nicht erkennt, wird auch im Comic später nicht hervorstechen. Natürlich können Details drumherum stehen, aber sie dürfen nicht dem Haupt-Act die Aufmerksamkeit nehmen.
Dann der Titel. Selbstverständlich muss der von weit weg lesbar sein. Was die ganzen anderen typischen Coverinformationen angeht, die es in den verschiedenen Medien gibt - Verlagslogo, Preis, Aufkleber mit den Hits, die dieses Album enthält - das muss auf ein internettaugliches Cover nicht drauf, denn erstens nimmt es Platz weg, und zweitens steht es in der Produktinformation direkt neben dem Cover. Gut, da steht auch der Titel, aber den guckt man sich, wenn man das Buch hat, auch immer mal wieder an. Den Preis nie wieder, wenn der Kauf erledigt ist.
Deshalb enthalten die Cover meines neuen Comicalbums auch kaum weitere Informationen. Kein Preis, kein Verlagslogo - wer den Comic im Netz bestellt, kriegt diese Informationen eh mitgeliefert, und auf Messen habe ich immer ein Schild mit den Preisen dabei. Und für den seltenen Fall, dass sich ein Comichändler damit schmücken will, gibt es ja Aufkleber.
Auf späteren Heften werde ich sicher wieder einige dieser Infos unterbringen, einfach damit es so aussieht wie etwas, das im Laden stehen KÖNNTE - manche Leute brauchen solche Zusatzanreize. Vielleicht pack' ich das alles auch auf die Rückseite, wie es bei Büchern ja jetzt schon üblich ist. Nur in diesem Fall hatte ich keine Rückseite.