Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Montag, 13. August 2007
Von der Leber weg auf den Punkt kommen
Schreiben
Conny ist sauschwer zu schreiben. Nicht der Charakter - die Figur liegt mir sehr nahe, und ihre Dialoge sind sogar das reinste Vergnügen. Nein, die Handlungen sind das Problem. Mehr als bei fast jeder anderen Serie habe ich bei Conny schon Szenen umgeschrieben, Nebenstränge zu Hauptsträngen gemacht und ganze Blöcke rausgeschmissen, um auf den Punkt zu kommen, den ich wollte. Ich dachte immer, das liegt daran, dass mir diese Serie so wichtig ist und ich es richtig machen will. Das sicher auch. Aber es gibt noch einen anderen, einen strukturellen Grund, und den habe ich jetzt kapiert.

Es gibt zwei gegensätzliche Schreibrichtungen, in die Du eine Geschichte anlegen kannst. Okay, es gibt mehr als zwei Arten, eine Geschichte zu schreiben, und viele davon lassen sich in Gegensatzpaare unterteilen. Auf einige gehe ich vielleicht später noch mal ein. Aber jetzt möchte ich mich auf ein Gegensatzpaar konzentrieren. Wahrscheinlich gibt es auch alle möglichen Mischformen, und beide können in derselben Geschichte vorkommen. Die Unterscheidung ist nicht sauber. Aber ich denke, sie ist grundlegend.

Du kannst auf einen bestimmten Punkt zu schreiben, oder von ihm weg.

Der Punkt ist natürlich dein hauptsächlicher Schreibimpuls. In Analogie zum Zeichnen könnten wir vom Fluchtpunkt reden, weil auf diesen Punkt alles hinausläuft (oder eben davon ausgeht). Dieser Punkt kann narrativ sein (ein bestimmter Moment in der Handlung), thematisch (alles, was über die Handlung und die Charaktere hinausweist; das schließt auch die "Moral" der Geschichte ein) oder dramatisch (ein bestimmter Moment in der Charakterentwicklung, eine emotionale Situation oder so was - das ist nicht das gleiche wie narrativ, was ein Moment innerhalb der Handlung ist). Ehrlich gesagt, mit der Benennung des Dritten bin ich noch nicht ganz zufrieden, ich schwanke zwischen psychisch, charakterorientiert und dramatisch. Aber wichtiger ist jetzt, dass der Grundgedanke rüberkommt.

Wenn Du deine Geschichte von einem Punkt ausgehend anlegst, schaffst Du eine Ausgangssituation und verfolgst dann die Auswirkungen dieser Situation. Das ist, was ich bei den meisten RECEPTION MAN-Geschichten gemacht habe. Auch die erste Conny-Geschichte ist so entstanden. Die Grundsituation war, dass ich eine BUFFY-artige Figur in das RECEPTION-MAN-Universum einführen wollte. Alles weitere habe ich daraus entwickelt. Das klingt jetzt sehr einfach, als käme das von selber. Mir fällt das tatsächlich leicht. Es ist das klassische Fabulieren, gewissermaßen ein gemäßigtes Drauflosplappern. Das konnte ich schon immer ganz gut. (Der schwierige Teil ist dann hinterher das Editing.)

Anderen fällt wahrscheinlich gerade das Schreiben auf einen Punkt hin besonders leicht. Mir nicht. Je abstrakter der Punkt ist, desto schwieriger ist es. Einen Link zu schaffen zwischen dem Spiel "Himmel und Hölle" und einem echten Höllentrip, kein Problem. Mein Unbehagen darüber auszudrücken, dass Kinder kaum noch irgendwo hinkommen, wo sie nicht von Erwachsenen überwacht werden - schon schwieriger. Wie kann ich diese Idee auf Conny und ihre Mutter pojizieren, wie kann ich sie in eine Handlungsabfolge übersetzen? Ziemlich früh war klar, dass der Aufhänger für "Der lange Heimweg" die tägliche Autofahrt zur Schule sein würde, auf die Connys Mutter besteht und gegen die Conny rebelliert. (Das ist weniger narrativ als thematisch, wenn ich bedenke, was ich auf dem Schulweg alles an sozialen Kontakten geknüpft habe. Mein Thema ist: Genau das fehlt sonst.) In einer frühen Version der Geschichte sollte Conny sich selber aufmachen und ihre Erlebnisse in einem Expeditions-Tagebuch festhalten. Auf dem gefahrvollen Nachhauseweg sollte dann nichts wirklich Gefährliches passieren, auch wenn's so wirkt. Das war natürlich aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt. Erstens kann man nicht ohne weiteres eine spannende Geschichte darüber machen, dass im Grunde nichts passiert - lasst euch von den Machern autobiografischer Comics da nichts erzählen. Und zweitens wäre alles Wesentliche bereits auf der ersten Seite, beim Streit zwischen Conny und ihrer Mutter, erzählt worden - der Rest hätte das alles nur nochmal mit anderen Bildern ausgewalzt.

Was ich brauchte, war ein Anlass, Conny gegen ihren Willen in diese Situation hineinzujagen. Auch damit sie nicht emotional auf die möglichen Gefahren vorbereitet ist und nur beobachtet. Ein bisschen Ausgeliefertsein gehört einfach zu einer guten Horrorgeschichte. Ich brauchte die Schulleiterin. Mit ihr als "feature creature" konnte ich mein Argument, dass die Gefahren des Alleinenachhausegehens übertrieben werden, durch den Kontrast mit einer echten Gefahr aus der Schule verstärken. Vor allem aber hatte ich einen Moment, von dem aus ich Konsequenzen ableiten konnte.

Das neue Abenteuer ist auch wieder so ein Problemfall. Verstärkt noch dadurch, dass es eigentlich zwei Geschichten sind, davon eine in Rückblenden. Der Fluchtpunkt ist ein biografischer Wendepunkt für Conny. Ich weiß inzwischen, was passieren soll, damit Conny an diesen Punkt kommt. So weit bin ich schon mal. Es kann noch passieren, dass ich einiges davon rausschmeiße, weil es nicht unbedingt nötig ist, nichts Neues sagt und/oder weil die Geschichte eh schon ziemlich lang ist. Das Hauptproblem ist aber zur Zeit noch, in welcher Reihenfolge ich die Dinge passieren lasse und wieviel Raum ich ihnen jeweils gebe, damit ihre Wirkung am besten zur Geltung kommt.

Gerade habe ich wieder eine Szene von der zweiten Hälfte in die erste geschaufelt. Damit geht eine schöne "Offenbarung" für den zweiten Teil flöten, aber ich brauchte die Szene einfach vorher und konnte damit die (nun) folgende Rückblende um einiges kürzen. Eine Szene schmeiße ich vielleicht ganz raus, aber um zu sehen, ob und wie sehr sie stört, muss ich sie wohl doch erstmal zeichnen. Ich meine, ich KÖNNTE sie noch brauchen. Vielleicht muss ich sie auch einfach nochmal anders schreiben, wie die Szene aus Dem Neuen Heft, von der ich neulich erzählt habe.

Jede Änderung an einer Stelle bedingt Änderungen an anderen Stellen. Das ist das Problem mit dem Schreiben auf einen Punkt hin: es gibt viele mögliche Wege, die zu dem Punkt führen. Aber nicht alle passen gleich gut zusammen, und nicht alle machen eine Geschichte besser. Manche stehen nur anderen Wegen im, äh, Weg.


Was haben wir gelernt?
  • Überlege Dir genau, was der Ausgangspunkt Deiner Geschichte ist.
  • Überlege Dir genau, in welche Richtung dieser Punkt weist. Wenn Dir die Richtung nicht liegt, finde einen anderen Fluchtpunkt innerhalb der Geschichte.
  • li>Und wenn das nicht klappt, hilft es trotzdem, wenn Du weißt, in welche Richtung Du schreibst. Wenn Du Probleme mit dem Aufbau der Story hast, könnte er darin liegen.

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