Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Mittwoch, 4. Februar 2015
Ebooks und Ecomics - Das Phantom der Weiterentwicklung
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Im Comicforum gab’s unlängst mal wieder eine dieser Diskussionen über Ebooks, mit allen üblichen Argumenten: Warum sie gut sind (praktisch, schriftgrößenverstellbar) und warum sie schlecht sind (Bildschirm ist nicht dasselbe, und sie machen den Markt kaputt). Ein bisschen entsteht bei solchen Diskussionen der Eindruck, dass da von einem Phantom die Rede ist, nicht nur bei denen, die das neue Medium ablehnen und sich damit auch gar nicht befassen wollen. Auch bei den Befürwortern. Gerade was das Ebook angeht - denn die Ebooks, die die Diskussion wirklich wert sind, gibt es im Grunde nur in Ansätzen.

Was wir bisher an Ebooks haben, sind nur die absoluten Anfänge. In welche Richtung sich das entwickelt, ist noch gar nicht abzusehen. Wenn jetzt einige Leute sagen, sie wollen ihre Bücher lieber auf Papier, dann nur, weil sie sich nicht vorstellen können, dass das bekannte Leseerlebnis durch die Bildschirmdarstellung zu verbessern ist. Damit liegen sie gleich doppelt falsch. Denn erstens geht das besser, und zweitens geht es nicht um das herkömmliche Leseerlebnis.

Bücher mit Ebooks zu vergleichen, das ist nicht wie Vinyl vs. CD oder CD vs. MP3, das ist wie Notenblätter vs. Musikaufnahmen. Mit dem neuen Medium ändert sich, wenn wir es lassen, das Lesen selber. Dabei geht einiges - die Kontrolle, das ruhige Komplementieren, das Blickschweifenlassen - flöten oder steht zumindest zur Zeit nicht im Vordergrund der Entwicklung, aber dafür gewinnen wir auch was. Heute haben Ebook-Reader schon bessere Displays als herkömmliche Bildschirme und angenehmere Beleuchtung als der übliche Nachttisch sowie größenverstellbaren Text und Suchfunktionen. Alles Verbesserungen. Aber auch alles nur Kleinigkeiten.

Im Kinder- und Sachbuchbereich tut sich bereits einiges, was die multimediale Erweiterung von Ebooks angeht, aber die meisten Ebooks sind zur Zeit noch leicht aufbereitete reine Texte mit minimalen interaktiven Erweiterungen. Mit Glück kann man gerade mal vom Inhaltsverzeichnis direkt zu einem Kapitel durchklicken. Das ist auch okay so, denn die wahrscheinlich meisten Bücher, die es heute gibt, nämlich die von vor dem Aufkommen von Ebooks, sollten nie mehr sein als Texte. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass interaktive Erweiterungen von den Lesern wirklich nachgefragt werden. Das scheint mir eher ein Interesse der Vermarkter von Lesegeräten zu sein. Eine Umfrage unter Comiclesern vor einigen Jahren deutet jedenfalls darauf hin, dass es den Lesern elektronischer Comics wichtiger ist, den Comic zu besitzen (statt nur Zugriff darauf zu haben) als viel Neues damit machen zu können. Deshalb bietet der Ecomic-Händler ComiXology inzwischen auch Comics zum kopierschutzfreien Download an, zusätzlich zur Ansicht in der Lese-App.

Aber auch auf Leserseite ändern sich die Gewohnheiten, und neue technische Möglichkeiten bringen Leute mit sich, die darauf nicht mehr verzichten wollen. In den letzten Wochen lese ich elektronische Texte immer öfter mit Schnelllese-Apps wie dem Spritzlet - diese Apps lassen den Text vor dem Nutzerauge entlangflimmern, so dass man nicht mehr das Auge bewegen muss. Anfangs klang es mir wie eine fürchterliche Vorstellung, die Kontrolle über meinen Leserhythmus derartig auszuliefern, aber inzwischen habe ich mich von ursprünglich 280 auf über 450 Wörter pro Minute gesteigert, und laut Spritz Inc., der Firma hinter Spritzlet, sind 1000 nicht unüblich. Und Spaß macht's auch. Ich hätte nichts dagegen, wenn Ebookreader irgendwann standardmäßig mit solchen Funktionen kämen.

Romane habe ich mit dem Spritzlet noch nicht gelesen, aber für die eh schon elektronisch und oft sehr unansprechend präsentierten Blogartikel, die ich auch viel lese (wahrscheinlich sogar mehr als Bücher), ist es eine willkommene Erleichterung. An die ich mich sehr schnell gewöhnt habe.

Ebenso kann es sein, das spätere Generationen von Comiclesern ein völlig anderes Erlebnis gewöhnt sind und erwarten als das, was wir heute mit Comics verbinden. Wir können uns dagegen sperren und weiter das gedruckte Album verteidigen wie ein Deutschlehrer in den Fünfzigern das Gute Buch, oder wir können die Entwicklung mit beeinflussen und neue erzählerische Möglichkeiten für uns entdecken.

Das heißt nicht, dass wir auf jeden Zug aufspringen müssen, der uns da wie eine gemischte Metapher durchs Dorf getrieben wird. Aber wir tun gut daran, uns nicht selber im Weg zu stehen, ein Auge darauf zu behalten, was sich entwickelt, festzuhalten, was für uns (für die Geschichten, die wir erzählen wollen) funktioniert und was an dem, das nicht funktioniert, nicht funktioniert.

Das tun wir sowieso: Seit den Comics meiner Kindheit haben Textkästen ihre Aufgabe im Comic völlig verändert - die begleitenden Beschreibungen des Geschehens, für die sie ursprünglich da waren, sind fast völlig aus modernen Comics verschwunden, ebenso wie Denkblasen. Durch das Internet hat sich auch eine andere Farbästhetik durchgesetzt - Schwarzweißcomics mit Kreuzschraffur gibt es eigentlich fast nur noch aus nostalgischen Gründen. Es kann gut sein, dass sich Übergänge innerhalb eines Bildes, wie Thrillbent sie in Weiterentwicklung des Balak-Stils benutzt, irgendwann als eigenständiger Teil des Comic-Vokabulars duchsetzen. Oder die Hervorhebung von Einzelbildern durch Zooms, wie ComiXologys “Guided View” sie nutzt. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Elemente auch in gedruckten Comics simuliert werden, weil sie sich bei den Lesern von Ecomics durchgesetzt haben.

Der Comic ist so was wie eine Sprache - mit einem Vokabular aus Bildelementen und einer Grammatik aus Layouts und Bezügen zwischen Bildern. Sprachen entwickeln sich. Solange es lebendige Sprachen sind. Was ich vom Comic doch mal stark hoffen will.

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