Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Freitag, 9. Januar 2015
Alors Nous Sommes Charlie, Mais Qu'est-ce Qu'on Fais Maintenant?
Schreiben
(Jetzt sind wir also Charlie, aber was machen wir jetzt?)

Der Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo am Mittwoch hat uns alle ziemlich durchgerüttelt in der Comicszene. Und ziemlich viele von uns wollten auch gleich was zu dem Thema machen. Nur, das ist ein ziemlich großes, komplexes und umfassendes Thema, wenn man’s mal richtig durchdenkt. Und man will ja nichts Unangemessenes posten, so im Eifer, obwohl gerade die Charlie-Hebdo-Zeichner eine ordentliche Portion Unangemessenheit sicherlich zu würdigen wüssten.

Immerhin ist es diesmal nicht (oder jedenfalls nicht so doll) zu Diskussionen gekommen, ob Cartoons das überhaupt dürfen, religiöse Tabus brechen, egal von welcher Religion. Vor einigen Jahren, beim Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen, gab’s da noch ganz andere Töne zu hören, nach dem Motto: Darf Satire das? Meine Meinung, damals wie heute: Sie darf nicht nur, sie muss sogar, solange irgendwo Cartoonisten deshalb mit dem Leben bedroht werden.

Aber was kann man tun als Cartoonist? Was ist der angemessene Ausdruck? Was der richtige unangemessene? Und bewirkt das was? Ich versuche mal, als Nicht-Cartoonist zwar von außen, aber vielleicht hilft das sogar, ein paar der Möglichkeiten zu beschreiben, die wir haben.

1. Anteilnahme

In der Comic Solidarity haben wir natürlich gleich über eine mögliche gemeinsame Aktion gesprochen. Der ursprüngliche Vorschlag, der dann auch die Grundlage für das gemeinsame Handeln wurde, war, einfach ein paar geschwärzte Bilder als optische Schweigeminute zu posten (was dann um den “Je suis Charlie”-Schriftzug erweitert wurde). Als Ausdruck der Trauer ist das ein - in seiner Einfachheit - sehr wirkungsvolles Vorgehen. Hier die Beispiele von Sarah Burrini und Tobi Dahmen, damit Ihr euch das vorstellen könnt. Einigen von uns (auch mir) war das alleinige Trauerflaggen aber doch ein bisschen zu wenig, deshalb haben wir das Konzept etwas aufgemischt oder etwas eigenes dazugestellt (hier sehr schön bei Lisa Neun). Aber ich kann natürlich verstehen, wenn Leute in so einem Moment erstmal innehalten wollen, Zeichner wie Leser. Da hilft das.

2. “Jetzt erst recht!”

Schon um den Islamisten nicht den Sieg zu schenken, aber auch um einem Infragestellen der Pressefreiheit, des Rechts zu beleidigen, wie es Art Spiegelman 2006 genannt hat, entgegenzuwirken, war die erste Reaktion bei vielen von uns: Jetzt erst recht! Mohammeds zeichnen, ganz viele, damit die Mörder lernen, dass man mit Mord nur noch mehr von dem schafft, das man vernichten wollte.

Das alleine ist aber nicht sehr hilfreich. Ich habe seitdem einige sehr schöne Mohammed-Cartoons gesehen, die ihn entrüstet zeigen angesichts der Gewalt in seinem Namen (wie er auch schon teilweise in Charlie Hebdo zu sehen war) oder weil er jetzt seine Lieblingszeitschrift nicht mehr kriegt. Die finde ich gut, und ich finde es auch richtig, Mohammed in diesem Zusammenhang zu zeigen. Aber wir müssen schon ein bisschen differenzieren, sonst wird das zur stumpfen Waffe.

Wenn es für einen Gag oder eine Aussage notwendig ist, einen Mohammed zu zeichnen, dann muss man das tun, und nichts darf einen darin beschränken. Das tut mir leid für alle aufrechten, friedlichen Muslime, die so was nicht gerne sehen und jetzt still dulden müssen, aber die Meinungsfreiheit tut manchmal weh und, wie Spiegel.de gerade völlig richtig schrieb, Blasphemie gehört in eine Demokratie. Satire lebt in der Überschreitung von Grenzen, in der Provokation, im Aufbrechen der Alltagsmasken, um den dahinterliegenden Schrecken zu zeigen und Absurditäten zu benennen. Eine Grenze, die ich akzeptieren würde, wäre vielleicht die persönliche Beleidigung. Aber wenn sich Leute aufgrund einer Ideologie entscheiden, sich beleidigt zu fühlen, das ist etwas anderes. Das ist nicht persönlch, das ist nur ein Vorwand, um die eigene Reaktion zu rechtfertigen, egal wie überzogen die nun wieder ist. Das ganze Konstrukt vom religiösen Bilderverbot, die Erwartung, Zeichner und Redaktionen, die der eigenen Religion nicht folgen, seien dennoch verpflichtet, sich nach deren Regeln zu richten, all das ist so absurd, das gehört demontiert.

Zur Verantwortung des Cartoonisten gehört dann allerdings auch eine gewisse Ehrlichkeit in der Frage, ob der Gag, die Aussage diese Überschreitung wirklich erfordert und wert ist. Die Mohammed-Karikaturen der Jyllands-Posten 2005 sind ein gutes Gegenbeispiel. Die wurden nicht geschaffen, um etwas auszusagen, sondern um zu provozieren und zu zeigen, wie demokratiefeindlich der Islam sei. (Der Versuch misslang übrigens: Klar gab es Kritik, aber die Proteste gingen erst los, als ein halbes Jahr später ein ebenso unredlicher Islamist noch krassere Cartoons darunter mischte und damit seine Anhänger aufhetzte.)

Deshalb habe ich so was bis jetzt noch nicht gemacht. Hatte noch keinen Gag, der das erforderte.

3. Analyse und Perspektive

Für mich gehört zur Aufgabe der Satire auch immer ein wenig, aufzuklären. Unterhalten, klar, aber nicht indem man Klischees und Ressentiments bedient, sondern indem man sie aufbricht und eine Perspektive jenseits des Affekts zeigt. Für mich war es besonders wichtig, nicht mit irgendwelchen Pegida-Anhängern in einen Topf geworfen zu werden, nur weil ich einen (naja, jeden, aber es geht ja gerade um diesen) islamistischen Angriff ablehne. Deshalb auch der Cartoon unten.

Das ist, wo Cartoons richtig interessant werden. Wenn wir die Mittel der Überzeichnung und der Entzauberung nutzen, um richtig genau hinzugucken, und eben nicht den einfachen Gag liefern, sondern eher so was wie eine Analyse. Das muss im Ergebnis nicht unbedingt komisch sein - hier ein Beispiel von TeMeL, die eher darauf aus ist, das Problem zu analysieren als eine erlösende Perspektive zu präsentieren -, aber das schließt sich nicht aus. Und gerade Komik hilft, die Absurdität einer Situation hervorzuheben.

Abzugrenzen und auszudifferenzieren gibt es genug. Ich hänge ein paar Gedanken zum Thema ans Ende dieses Beitrages, die aber niemanden abschrecken sollen, Cartoons zu diesem komplexen Thema zu machen - im Gegenteil, sucht euch einfach was aus. Wichtig ist nur, die anderen Perpektiven nicht einfach abzutun. (Ich häng’s ans Ende, weil es da so richtig politisch wird. Muss nicht jeder mit einverstanden sein, Ihr seid ja vor allem wegen des Comicbezugs hier.) (Andererseits war das ja bis jetzt auch nicht wirklich unpolitisch.)

Nicht weggucken

Es gibt also mehrere Möglichkeiten, sich mit Cartoons einzumischen und auch was Sinnvolles beizutragen. Ist nicht alles für jeden und hängt auch immer davon ab, wie viel man verträgt und sich traut (sowie natürlich von der eigenen politischen Haltung). Aber ich denke, dass Cartoons, wenn sie denn durchdacht sind und nicht einfach nur irgendeine unreflektierte Meinung wiedergeben, helfen können, den Schrecken eines solchen Verbrechens zu verarbeiten. Und dabei trotzdem hinzugucken.


___________________________

So, und jetzt wird’s politisch.

Das hier ist sozusagen mein derzeitiges Koordinatensystem zur Einordnung des Diskurses.
  • Hier in Deutschland haben wir ja weniger Probleme mit Islamisten, mehr mit Islamfürchtern. Die Düsterdeutschen von Pegida wollen ja, wie man hört, ihre nächste antiislamische Demo mit Trauerflor veranstalten. So was ist für mch deshalb ein dringenderer Fokus.
  • Pegidas französische Gesinnungsgenossin Marine Le Pen soll schon die Todesstrafe gefordert haben. Denkt sich wahrscheinlich, dass es einfach unfranzösisch ist, wenn die rote Laterne für mörderischen Wahnsinn an irgendwelche Islamisten geht. Noch so jemand, mit der ich nicht in einem Topf enden möchte.
  • Ähnlich wie Le Pen scheint Boko Haram in Nigeria zu denken. “Was? Ein paar Franzosen sind jetzt die Oberbösen? Haben wir nicht 300 Jungfrauen entführt? Los, lass uns eine ganze Stadt niederbrennen!” Das wird, obwohl zur Zeit, glaub' ich, noch nicht bestätigt, anscheinend schon benutzt, um das Charlie-Hebdo-Attentat zu relativieren, weil, 2000 Tote, aber ich finde beides schlimm genug zum Zweimal Aufregen.
  • Dabei fällt mir ein: Die Attentäter werden immer als Terroristen beschrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Für mich sind das erstmal Mörder. Mit islamistischem Hintergrund, aber sind sie z. B. organisiert? Mich erinnern sie irgendwie mehr an den NSU in Deutschland als an Al Qaida. Das waren auch drei, plus Netzwerk.
  • A propos NSU: Ähnlich wie von Deutschen nicht erwartet wird, sich ständig explizit vom NSU zu differenzieren, sollten wir auch nicht von Muslimen erwarten, das jetzt zu tun. Ich freue mich, wenn das passiert, schon damit das den Islamfüchtern gegenüber klargestellt ist, aber eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass man mörderische Exzesse ablehnt, selbst wenn sie von Religionsgenossen kommen. Das muss man doch nicht extra hervorheben!
Und, zu guter Letzt:
  • Die Pressefreiheit, deren Stellenwert in den letzten Tagen immer wieder hervorgehoben wurde, wird - das muss immer mal wieder klargestellt werden - nicht vom Islam bedroht, sondern von Leuten im Westen, die sich aus mal mehr, mal weniger begründeter Angst vor dem Islam, selber zensieren.
Beim Karikaturenstreit 2006 war dieses Kuschen vor dem eigenen Islambild besonders deutlich zu sehen. Die ganze Diskussion, was Satire denn darf, beruht auf dieser Angst. Dazu kann ich nur wiederSalman Rushdie zitieren:
"Respekt vor Religionen" ist heute eine Chiffre geworden für "Angst vor Religionen". Religionen, wie alle anderen Ideen, verdienen Kritik, Satire und, ja, unsere angstfreie Respektlosigkeit.

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