Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Montag, 30. Juli 2007
25 schlechte Ideen sind 5 gute.
Schreiben
Im Bereich "Schreiben" dieses Blogs stehen zwar schon einige Texte, aber über das eigentliche Schreiben habe ich noch nicht viel gesagt, oder? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen bin ich gerade mehr mit Zeichnen und Layouten beschäftig, und zum anderen ist Schreiben nicht gerade eine exakte Wissenschaft. Egal, was Dir die selbsternannten und die wirklichen Fachleute für Kreatives Schreiben erzählen.

Das Problem mit solchen Schreibhilfen ist folgendes. Es ist ein zentrales Problem bei jeder kreativen Arbeit, und Erfahrung mit der Arbeitstechnik kann Dir nur bedingt helfen. Also, hier jetzt das Problem:

Du brauchst erstmal eine Idee.

Du kannst lernen, wie Du eine Idee in eine Story umwandelst. Du kannst lernen, wie man eine Idee "pitcht", eine "Logline" daraus machst, ein Exposé, und wie Du einen Handlungsablauf strukturieren musst, damit die Idee vermittelt wird. Das ist alles gut, wichtig und hilfreich. Ich habe schon oft vor einer Wendung in einer Story gestanden und gedacht: Ich weiß genau, welche Art von Wendung hier fehlt. Es muss eine Szene her, die Nebenfigur B stärker motiviert und Hauptfigur A vor ein moralisches Dilemma stellt. Weil vorher und hinterher Actionsequenzen kommen, muss es eine ruhige Szene sein, und sie sollte anderthalb Seiten dauern. Ich weiß, welche Figuren vorkommen, und ich weiß, wie die Szene jede einzelne Figur betrifft. Nur was in dieser Szene passieren soll, ist mir ein völliges Rätsel.

Eine Idee ist ein Impuls. man erkennt sie, wenn man sie sieht, aber man kann sie nicht in allgemeinen Begriffen beschreiben. Es gibt keine Regeln und kein Konstruktionsprinzip, nach dem eine Idee aufgebaut werden kann. Und deshalb kann man sie auch nicht ohne weiteres lehren.

So weit die schlechte Nachricht. Hier kommt die gute: Den Prozess des Ideenkriegens, den kann man beschreiben. Man kann sich darin üben. Und darüber kann man auch schreiben.

Letztlich geht es darum, Impulse weniger zu produzieren als umzuwandeln. Du hörst oder siehst etwas und wälzt es, bis es die richtige Form hat. Der Impuls kann sonstwas sein. Hier sind zwei mögliche Quellen:

Sehr oft sehe ich etwas in der Zeitung oder auf der Straße und denke, wie würden meine Figuren darauf reagieren? Wie würde sich eine Figur wie diese vampirjagende Schülerin aus dem Fernsehen in meinen Superhelden-Comics machen? Wie würde Reception Man auf sie reagieren? Wie sieht das Vorleben dieses Mädchens aus? Hat sie schon in der Grundschule Monster gejagt? Und wo wir beim Thema Grundschule sind: Da ging doch beim besten Willen nicht alles mit rechten Dingen zu. Ich weiß noch, wie wir mal die Parallelklasse besuchten, und die lernten gerade Schreiben mit Sätzen, die so absurd und bescheuert waren, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe. Und bis heute nicht weiß, wie man damit etwas lernen soll. Und was.

Ich kreuze meine bisherigen Ideen mit neuen Gedanken. Dabei kommt oft Müll raus, aber auch oft etwas Lustiges, das sich ausbauen lässt.

Das ist gewissermaßen die Ideenschöpfung "von innen".

Es gibt auch eine Art, sich von außen anzunähern. Etwa durch Brainstorming-Methoden. Schreibe eine Handvoll Worte auf, die Dir einfallen, oder such dir zufällig welche aus dem Lexikon. Mach daraus eine Geschichte, die in einem bestimmten Genre spielt. Nimm irgendein englisches Wort, setzte "Man" dahinter und überleg Dir, was für ein Superheld das ist. Es gibt tausende von Methoden, aus zufälligen Elementen eine Idee zu entwickeln. Der Trick ist, Dich von Dir selber und von Deinem kritischen Bewußtsein freizuschreiben. Lass den Zufall rein. Das Chaos. Lass zu, dass Du völigen Schrott produzierst. Die großartige und immer inspirierende Jane Espenson hat vor einiger Zeit eine solche Methode vorgestellt: Hundert schlechte Ideen. Ist drin, was draufsteht: Setz Dich hin und schreibe hundert schlechte Story-Ideen auf. Einfach, was Dir auf Anhieb einfällt. Ideen, von denen Du weißt, dass sie schlecht sind, weil Du bereits drüber nachgedacht hast, gehen auch, weil man sie auf die Weise gut loswerden kann. Aber das Wichtigste sind die neuen. Allein durch die Menge der Ideen wird, wenn Du später draufguckst, am Ende mindestens eine Handvoll garnichtsoschlechter Ideen dabei sein.

Da ich auch immer hungrig nach Ideen bin, habe ich Espensons Methode sofort ausprobiert. Bis hundert bin ich nicht gekommen, nur bis 25, weil es schon spät war und Nachtschicht. Hier sind sie:

1. Van Ehlsing - Parodie des Van-Helsing-Films.
2. Conny gegen Märchenfiguren.
3. Parallelwelt hinter Connys Spind.
4. Conny wird Klassensprecherin (und das bringt sie in:)
5. Das unheimliche Lehrerzimmer.
6. Kinderpsychologe, der eigentlich Hypnotiseur ist.
7. Nachts in der Schule.
8. Der sichere Schulweg vs. unsichere Schule.
9. Schulleiterin als "Alienkönigin".
10. Vampire. Oder doch erst, wenn sie älter ist?
11. Nachtwanderung mit der Klasse.
12. Schultheater / Ballett.
13. Klassenfahrt.
14. Rosemarys Baby, irgendwie auf Grundschule umgemünzt.
15. Ein paar Mädchen spielen Seilspringen und verschwinden dabei.
16. Der erste Alkohol.
17. Conny in Japan (Godzillamonster und so.)
18. "Wie Conny ihre Zöpfe verliert."
19. Benjamin Würmchen.
20. Rolf und seine Zombie-Freunde.
21. Ein Haustier für Conny, das dann natürlich ganz fies ist.
22. Conny im Koma. Fiese Dinge passieren in ihrem Kopf.
23. Geiselnahme in der Schule.
24. Conny läuft davon.
25. Der erste Junge, der nicht völlig eklig ist.
26. Der erste Junge, der nicht völlig eklig ist, verschwindet. (Das ist der Bonus Track.)

Idee 8 war eigentlich nie eine "schlechte" Idee. Ich hatte bereits angefangen, an der Idee zu arbeiten. Dass die Schulleiterin (9.) in "Der lange Heimweg" nicht nur vorkommt, sondern die Geschichte bestimmt, geht aber auf diese Liste zurück. Idee 18 hat zu einer Szene in der neuen Geschichte geführt, an der ich gerade arbeite. Nr. 17 war ein Witz, ich hatte bereits das Motiv "Conny in Japan" gezeichnet, aber nie vorgehabt, daraus eine Geschichte zu machen. Es gibt noch zwei andere Ideen, aus denen ich tatsächlich schon vorhabe, etwas zu machen, aber ich verrate nicht, welche.

5 von 25. Guter Schnitt für einen Abend. Wer weiß, was aus den anderen 75 geworden wäre.

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