Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Mittwoch, 3. August 2011
Lettering! Nur, womit?
Zeichnen
Auf meiner Comicseite erscheint gerade - zum ersten Mal überhaupt im Web - die allererste RECEPTION-MAN-Geschichte. "Reception Man oder wie Broder Bartz zum Helden wurde" erschien zurerst 1999 in der noch handlayouteten RM-Nullnummer. 2007 brachte ich das Heft neu heraus, allerdings ohne viel zu ändern. Denn erstens gibt es Leute, die es genau so mögen, und zweitens hätte das, wenn ich erstmal angefangen hätte, kein Ende gefunden.

Jetzt gibt es aber kein Zurück - die Veröffentlichung im Netz stellt einfach andere Anforderungen an die Lesbarkeit. Die ganze Geschichte wird neu gelettert, und wo ich gerade dabei bin, spendiere ich noch ein paar Grauflächen im Hintergrund. Letzteres ist vielleicht nicht wirklich nötig, auch wenn ein starker Schwarzweißkontrast am Bildschirm unangenehmer ist als auf Papier. Aber das Lettering musste sein, denn die niedrige Auflösung lässt jedes Handlettering unleserlicher werden, und meins sowieso.
Handlettering von 1999
Das ist die Lektion für heute - wenn Ihr Webcomics macht, habt entweder ein sehr ordentliches Lettering oder einen guten Font. Und weil ich gerade dabei war, mich nach welchen umzugucken, hier also meine Erfahrungen mit der Fontsuche.

Comic-Fonts gibt es wie Sand am Meer. Sucht in irgendeiner Font-Suchmaschine (ich empfehle Dafonts.com, weil da auch auf den ersten Blick zu sehen ist, wie umfangreich die Schrift ist und welche Rechte sie bietet) nach der Kategorie "Comic", und Ihr findet einen ganzen Haufen. Mit Sicherheit auch einige, die gut aussehen.

Sehr schöne professionelle Fonts findet Ihr bei Blambot und Comicraft - dahinter stecken Leute, die auch selber professionell lettern, und Comicraft bietet sogar eine Menge Originalfonts von bekannten selbstletternden Zeichnern wie Dave Gibbons und Joe Kubert an. Die internationalen Fonts von Comicraft kosten, so weit ich's überblicken kann, bis zu 130$, die von Blambot, wenn überhaupt, 20$.

Worauf Ihr bei einem Comic-Font achten solltet:

  • Umlaute. Gerade Gratisschriften kommen oft mit nur der Grundausstattung an Buchstaben, und ä, ö und ü gehören für amerikanische Font-Gestalter einfach nicht dazu. Bei Blambot sind meist nur die Bezahlfonts international, bei Comicraft kosten die internationalen Fonts 30$ mehr.
  • Was Ihr, zumindest bei einem Font, der ausschließlich aus Großbuchstaben besteht, dagegen überhaupt nicht braucht, ist das ß. Dieser Buchstabe kommt unter Großbuchstaben nicht vor und erinnert an ein B, was den Leser irritiert und aus der Geschichte wirft. Ich betone das, weil ich den Fehler immer wieder sehe, auch bei Profi-Comics. Die ß-Taste lässt sich stattdessen mit irgendeinem Zeichen belegen, das man wirklich braucht. (Ich habe sie bei meinem Font (siehe unten) mit dem Copyright-Zeichen belegt, das ich sonst immer nicht finde.)
  • Zwei Sätze Großbuchstaben. Viele Comicschriften besehen ausschließlich aus Großbuchstaben - eine alte Konvention aus der Zeitungspapierzeit, sieht aber immer noch gut aus. Idealerweise hat ein Großbuchstaben-Font zwei Sätze Großbuchstaben, einen davon da, wo sonst die Kleinbuchstaben wären. Damit lässt sich abwechslungsreicher und deshalb lebendiger lettern. Ein Wort wie, sagen wir, MEERESSCHNECKE oder KATAMARAN tippe ich dann MeEreSschnECKe und KatAmaRAn und erhalte ein interessanteres Schriftbild.
    Viele Schriften haben diesen Luxus nicht. Die meisten Schriften von Blambot etwa haben zweimal denselben Buchstabensatz, aber immerhin ist das I unterschiedlich - einmal mit, einmal ohne Serifen, was einer amerikanischen Lettering-Konvention entspricht: Wenn das I alleine steht, also im Wort "I" (ich), wird es mit Serifen geschrieben, sonst nicht.
  • Die Lizenz. Wenn die Schrift nicht für eure Zwecke freigegeben ist, könnt Ihr sie nicht legal benutzen. Einige sind nur für den Privatgebrauch, andere nur für den Gebrauch in nichtkommerziellen Medien (was problematisch wird, wenn Ihr den Comic drucken wollt). Die Blambot-Lizenz, die ich auch schon bei anderen Herstellern gesehen habe, erlaubt den Gebrauch für nichtkommerzielle und Indie-Comics. Da müsst Ihr erst umlayouten, wenn der Comic bei Panini erscheint.
Wenn euch eine Schrift besonders gut gefällt, aber keine Umlaute hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Ihr könnt in einer anderen Ebene zwei Punkte and der richtigen Stelle über den Text legen oder die Schrift mit einem Font-Editor wie Type light von CR8 selber ergänzen. Aber aufgepasst! Die meisten Schriften kommen mit Lizenzen, die genau das verbieten, selbst für den Hausgebrauch. In Zweifel kontaktiert den Hersteller der Schrift. Oft lässt sich das Recht erkaufen. (Allerdings nicht immer. Von Blambot habe ich diesbezüglich gerade eine ziemlich rüde Abfuhr bekommen. Was mich gewundert hat - nicht nur, weil Blambots Nate Piekos bei einer ähnlichen Anfrage vor fünf Jahren noch sehr entgegenkommend war, sondern auch, weil laut Lizenz Modifikationen mit einer zusätzlichen Gebühr drin sind.)

Ein paar Beispiele

Für die meisten meiner Comics benutze ich den Font Cartoonist Simple, den ich irgendwann in einer Gratissammlung gefunden habe. Anscheinend weiß niemand mehr, wer ihn entworfen hat. CS ist eine sehr neutrale Schrift, was ich bei Computerfonts sehr zu schätzen weiß, und ähnelt meinem eigenen Lettering, wenn ich mir viel Mühe gebe. Im Grunde ist es genau die Schrift, die ich hätte machen wollen. Der Nachteil ist, dass auch CS keinen Extra-Satz für die Kleinbuchstaben hat. Wenn ich mal ein bisschen Zeit habe, setze ich mich da wohl selber ran. (Soll sich der Lizenzgeber halt melden, wenn das nicht geht.)
Lettering mit Cartoonist Simple
Eine etwas lockerere Gratisschrift, sehr schön für Funnies, ist Larry Youngs LYBinky. Die hat zwar auch keine Umlaute, aber Youngs Begleittext erlaubt ausdrücklich, sie zu erweitern: "It's got an upper- and lower-case character set and simple punctuation. For numbers and other stuff, you're on your own." (Hervorhebung von mir.) Ich habe die Schrift zum Beispiel für "Frankenbike" benutzt.

Wie ich gerade sehe, hat mein geschätzter Kollege Daniel Gramsch in seinem Comic-Kurs bei Aicomics.de auch gerade das Thema Lettering behandelt. Da schlägt er noch einige andere schöne Schriften vor und gibt auch ansonsten gute Tipps.

Jetzt ich!

Für Reception Man wollte ich eine unordentlichere Schrift, die dem Geist meines ebenfalls sehr unordentlichen Handletterings entsprach. Gute Unordnung ist schwer zu finden. Die meisten Schriften, die das versuchen, scheitern entweder an der Gleichförmigkeit des Schriftbildes oder wirken beliebig. Als Daumenregel empfehle ich eh, lieber etwas weniger als etwas mehr an Charakter in die Schrift zu legen. Übergestaltete Fonts ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich und weg vom Comic. Neutralere Schriften halten sich im Hintergrund, und im Vordergrund ist der Text. Deshalb ja auch meine Begeisterung für Cartoonist Simple.

Nach einigen Misserfolgen mit den angebotenen Schriften (wenn mir mal eine gefiel, durfte ich keine Umlaute hinzufügen) habe ich mich entschieden, selber einen Font für Reception Man anzulegen. Ich habe die Buchstaben in Manga Studio vorgezeichnet, beim Gratis-Onlineservice MyScriptfont.com hochgeladen und in TypeLight überarbeitet (was auch nötig war, denn MyScriptfont macht die Buchstabenabstände viel zu klein). Beim vierten Versuch hatte ich eine Schrift, die einigermaßen meiner Vorstellung entsprach (eine Schrift locker wirken zu lassen ist ungefähr so leicht wie auf einem Foto ungezwungen zu lächeln). Keine Schrift, die auf Dauer funktioniert, aber für diesen Comic reicht's.
Lettering mit meinem eigenen 2ndCasual
Eigentlich ist die Schrift noch lange nicht zur Veröffentlichung geeignet, aber wer damit ein wenig rumspielen will, kann sie sich hier herunterladen:

2nd Casual

(Frei zum Benutzen und Erweitern, bei Benutzung in Veröffentlichungen bitte unter Nennung des Urhebers und der Herkunftsseite.)

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