Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Sonntag, 24. Februar 2008
Linien nachziehen
Zeichnen
Kaum dass ich den letzten Beitrag über meine Routine im Connyzeichnen geschrieben habe, breche ich sie auch schon auf. Jetzt ist schon Sonntag, und die nächste Seite ist immer noch so weit wie Donnerstag. Die letzten zwei Tage waren einfach keine Zeichentage.

Dafür habe ich heute angefangen, schon mal die erste Hälfte zu tuschen. Ist ja Sonntag. Nach Zeichnen ist mir immer noch nicht, aber zum Linien-Nachziehen reicht's. Oder wenigstens zum Schreiben über das Linien-Nachziehen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich einen Aspekt des Nachziehens nie richtig beleuchtet habe. Ich habe zwar darüber geschrieben, dass ich die ursprünglichen Zeichnungen erst mit weicherem Bleistift, dann mit Buntstift, dann mit Feder und dann mit Pinsel nachzeichne, aber was passiert dabei eigentlich?

... Und dann mache ich noch dies und das, und am Ende ist das Bild fertig.Geübte Inker werden mit Recht beklagen, dass ich diese Schritte hier als "Linien nachziehen" bezeichne. Das ist ein gängiges Vorurteil gegen Tuscher, und ich sollte es nicht fördern. Wenn ich es also so nenne, dann sollte ich betonen, dass es nur aus dramaturgischen, nicht aus ideologischen Gründen tue. Ich bin selber Tuscher, und wenn ich auch fast nur meine eigenen Sachen tusche, dann sehe ich doch genau, was dabei passiert.

Aber setzen wir vorher an. Beim Blaustift. Traditionell werden die Bleistiftzeichnungen mit blauem Buntstift nachgezogen oder auch manchmal gleich gezeichnet, denn Blau wird beim Offsetdruck nicht erkannt, diese Linien müssen also nach dem Tuschen nicht radiert werden. Was gut ist für die Tusche. Nur werden meine Comics nicht offset gedruckt, und wenn, dann nicht vom Original. Sie werden gescannt, als s/w-Bitmaps, was zwar einen ähnlichen Effekt in Bezug auf den Blaustift hat, aber nicht ganz. Einiges bleibt immer stehen, vor allem, weil meine Tusche nicht so doll deckt. Ist also entweder das oder nichtdeckende Schwarzflächen. Aber ich schweife ab.

Eine übersichtliche Zusammenfassung der Schritte eins bis drei...Wer schon mal in ein Zeichenbuch geblickt hat, kennt diese Schritt-für-Schritt-Anleitungen, vom Strichmännnchen zur Skizze zur verfeinerten Vorzeichnung zur Tuschezeichnung. Ich muss das jetzt nicht alles selber einscannen.* Das Ding ist, die meisten Zeichnungen beginnen mit Kringeln, Kreisen, Hilfslinien und allem möglichen Kram, der nachher nicht in der Zeichnung ist. In dieses Gewusel zeichne ich dann das eigentliche Bild. Das in diesem Zustand ebenfalls noch ziemlich gewuselt ist. Linien werden angedeutet, verworfen, andere Linien werden eher als Linien-Cluster angelegt ("da ungefähr muss die hin"), wieder andere (die Position der Augen etwa) bleiben oft bis zum Schluss einfache Punkte. Da muss Ordnung rein! Also zücke ich den weicheren Bleistift und treffe so was wie eine Vorauswahl. Weicher, weil die Linien fester und dunkler sind. Hier könnte ich auch gleich den Blaustift nehmen, aber der hat etwas Endgültiges, das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht brauchen kann.

Was in diesem Stadium entsteht, hat schon mehr vom endgültigen Bild, allerdings mit einem starken Hintergrundrauschen. Denn die dünneren Bleistiftlinien sind ja alle noch da. Der "offizielle" Hauptzweck der Buntstiftvorzeichnung ist, dass man endlich mal radieren kann, ohne dass alles flöten geht. Aber ich benutze dieses Stadium auch, um noch ein bisschen mehr Ordnung in das Bild zu bringen. Jede Linie kommt jetzt nochmal auf den Prüfstand, ob sie auch wirklich bleiben soll. Die Bunstiftzeichnung hat eine größere Autorität als die Bleistiftzeichnung. Sie ist der Zustand, in dem ich das Bild einem Tuscher übergeben würde, wenn ich einen hätte. Der hätte dann keine weiteren Fragen und eine klare Arbeitsanweisung.

Das ist der eigentliche Zweck der Buntstiftvorzeichnung - Klarheit zu schaffen. eine Auswahl. Mit jedem Schritt, den ich zeichne, wird die Auswahl enger, und das Bild tritt deutlicher hervor. Lass einen Schritt weg, und das endgültige Bild ist einen Schritt näher am unübersichtlichen Chaos. Das mit dem Radierenkönnen ist ein schöner Nebeneffekt, aber mehr auch nicht.

Das sind so etwa die Schritte vier und fünf.Mit dem Tuschen geht es genauso weiter. Die meisten Comics tusche ich in zwei Schritten - Feder und Pinsel. Das hat zum Teil praktische Gründe - ich will nicht ein Werkzeug trocknender Tusche aussetzen, während ich das andere benutze -, zum Teil künstlerische. Mit der Feder liefere ich die Basics und treffe zugleich eine weitere Auswahl. Mit dem Pinsel hebe ich einzelne Bereiche noch weiter hervor, geb ihnen Dynamik. Das muss nicht bei allen Details passieren. Auch in diesem Schritt treffe ich also eine Auswahl, aus den bestehenden Federstrichen. So bleibt auch das Tuschen bis zum Schluss Teil des kreativen Prozesses.

Ein Fehler, den auch ich oft mache, besteht darin, einen der Schritte als bloßes Nachzeichnen zu begreifen. Wenn aber in einem Schritt keine Entscheidungen getroffen werden, fehlen die beim nächsten. Umgekehrt kann ich den Fehler machen, in einem späteren Schritt zu unentschieden zu sein oder etwas allzusehr umzuschmeißen, ohne dafür einen der früheren Stifte zu benutzen. Dann entsteht neues Gewusel - und zwar unradierbares.


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*) Stattdessen benutze ich die Scans, die ich im letzten Jahr für "Office Girl" aus der Superheldenausstellung gemacht habe, denn an denen lässt sich einiges ganz gut zeigen.

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