Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Freitag, 7. November 2008
Man kann auch viel Zeit damit verbringen, Prokrastination richtig zu schreiben...
Arbeitsorganisation
"The key to productivity is to rotate your avoidance techniques."
- Too Much Coffee Man

"Nichts ist so dringend, dass es nicht durch einiges Liegenlassen noch dringender werden könnte."
- Volksmund

Während ich durch eigenes Verbaseln nicht in Essen, sondern auf Nachtschicht in Bremen war, liefen im TV dauernd Beiträge über Prokrastination, die Kunst oder Krankheit (je nachdem, wen man fragt) des Aufschiebens. Ich habe Prokrastination bereits von beiden Seiten erlebt, als positiven und als negativen Einfluss.

Klar negativ ist Prokrastination, wenn man dadurch Chancen verspielt. Die Abgabetermine von Ausschreibungen oder Bewerbungen verpasst und so. Manchmal sind das Chancen, die man sowieso nicht so richtig wollte, weshalb man's ja aufgeschoben hat. Man kann das also durchaus auch als positiv begreifen. Andererseits kann das auch schnell zur Ausrede werden, und gar so wählerisch darf man z. B. bei dem heutigen Arbeitsmarkt eh nicht sein. Auch schlecht ist es, wenn man sich nie bei Freunden meldet, weil man wie ich ein Telefonprokrastinierer ist. (Telefonieren ist so außerhalb meines Denkens, dass ich manchmal Tage brauche, daran zu denken, auch nur den Plan zu fassen, jemanden anzurufen. Da schreibe ich lieber eine Mail.) Manche Freunde nehmen das übel. Manchmal denken sie sich auch sonstwelche Gründe, weshalb man nicht angerufen hat, und nehmen einem DIE übel. (Das ist natürlich unangemessen, nicht nur weil man ja nichts für die Gründe kann, die einem andere unterschieben, sondern auch, weil die Leute sich ja ihrerseits mal hätten melden können. Aber das hilft einem in dem Moment nicht.)

Prokrastination kann aber auch einen guten Einfluss haben, besonders auf kreative Arbeit. Viele meiner Comics entstehen so. Ich denke mir etwas aus und lasse es erstmal eine Weile liegen. Wenn die Geschichte reif ist (oder noch öfter, wenn sie fällig ist) krame ich die Vorarbeiten hervor und setze sie um. Bevorzugt unter Zeitdruck, dann kann ich gleich die wichtigen noch anstehenden Probleme von den unwichtigen trennen, die nur Zeit kosten. Wesentlich ist aber: Während die Geschichte rumliegt, reift sie weiter, und manche Stellen, an denen ich vorher nicht vorangekommen bin, finden nach dm Rumliegen eine gute und oft einfache Lösung. Manchmal ist das Rumliegenlassen auch selber ein Hinweis, dass noch etwas an der Story nicht sitzt. Dann weigert sich etwas in mir, die unfertige Szene umzusetzen, und schon liegt sie da rum.

Es gibt auch Beschäftigungen, die auf den ersten Blick Vermeidungsstrategien sind, aber in Wirklichkeit die Produktivität eher fördern. Zum Beispiel aufräumen: Nichts bremst die Produktivität so sehr wie äußere Unordnung, sie reflektiert direkt die innere Unaufgeräumtheit. Herumliegende Ablenkungen? Weg damit. Ein ordentlicher Schreibtisch tut Wunder für das Ordnen von Gedanken. (Manche Leute ordnen dann auch gerne ihre Plattensammlung neu, was aber nur etwas bringt, wenn Dich die alte (Un-)Ordnung wirklich ablenkt.) Bei der Gelegenheit empfehle ich auch, Staub zu wischen, denn staubige, trockene Luft lähmt das Gehirn, besonders im Winter, wenn es staubige, trockene Heizungsluft ist.

Die Kunst ist natürlich, unterscheiden zu lernen, wann man gut daran tut, etwas liegenzulassen, und wann man sich damit schadet. Wann es ein Warnsignal ist, dass man etwas schon wieder liegengelassen hat, und wann purer Schlendrian. Und natürlich, wann es besser ist, sich zusammenzureißen, und (bis) wann man noch in Ruhe, äh, "Vorbereitungen treffen" kann. Ich erinnere an die äußerst praktische Unterscheidung zwischen guten und schlechten Deadlines, auch als Muss- und Mussjanichtgleich-Deadlines bekannt. Wenn man die drauf hat, dann machen die Deadlines sich schon selber bemerkbar, in Form von langsam steigender Unruhe. Bei vielen Projekten habe ich ein gutes Zeitgefühl, das auf der Basis von Arbeitsgeschwindigkeit und Entfernung zur Deadline instinktiv einschätzt, ob ich es noch schaffen kann, ob ich mich ranhalten muss oder ob ich es eh vergessen kann. Richtig angewandt, ist dieser Instinkt ein Weg zu mehr Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Falsch angewandt, ein Selbstzerstörungsmechanismus.

Ich nehme mir ja seit Jahren immer wieder vor, mehr Disziplin in meinen Arbeitsprozess einzubringen. (Ehrlich gesagt, mehr um andere zu überzegen, dass das, was ich hier tue, wirklich Arbeit ist, als um die Arbeit selber zu organisieren.) Mehrfach habe ich mein Stundenbudget neu definiert und neue Methoden entwickelt, meinen Arbeitstag auszufüllen. Auf meine Comicproduktion hat nichts davon einen Einfluss gehabt. Seit ich, zunächst aus gesundheitlichen Gründen, auf die Stundenbudgets verzichte, habe ich etwa 30 Seiten Conny gezeichnet, ein Album und ein Download-Heft herausgebracht, mindestens 45 Beiträge alleine in diesem Blog geschrieben, eine Webseite gestaltet und was weiß ich was noch. Was mir im Moment am meisten hilft, die anstehenden Conny-Seiten auch wirklich fertigzukriegen? Deadlines. Jeden Freitag muss eine Folge online gehen, sonst ist's unprofessionell. Das ist eine gute Deadline. Der Abgabetermin für NICHT GANZ DA war wohl auch eine.

Alles andere hat offensichtlich noch etwas Zeit.

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