Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Mittwoch, 11. November 2015
Genres: In a Galaxy not so Far Away
Schreiben
Voller MondNeulich habe ich The Martian gesehen, die Verfilmung eines "Dreadful Pitches" von mir. (Und habe ich auch nur eine Freikarte gekriegt? Nein!) Toller Film. Mich hat vor allem beeindruckt, wie kompetent in dem Film alle rüberkommen - Nicht nur der gestrandete Astronaut, auch die NASA-Mitarbeiter am Boden: Alle arbeiten im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten. Die Geschichte kommt völlig ohne falsche, vermeidbare Konflikte durch Dummheit aus, die nur die Glaubwürdigkeit der Figuren beeinträchtig hätten. Und noch jemand wird im Film durchgehend als kompetent dargestellt, als wissenschaftlich belesen und fähig, bei all dem mitzuhalten - nämlich das Publikum.

Das Blog io9 würdigte neulich eine neue Renaissance des Weltraumfilms. Die Metapher des Goldenen Zeitalters wird zur Zeit etwas überstrapaziert (an einem Text über das sogenannte Goldene Zeitalter der US-Fernsehserien arbeite ich auch schon wieder seit ewig, aber die Recherchen sind so umfassend und jede Woche neu), aber Science Fiction erscheint tatsächlich so gegenwärtig und mainstreamtauglich wie schon lange nicht mehr. Das mag zum Teil daran liegen, dass die Technik zur Darstellung von Science-Fiction-Welten fortgeschritten ist und Filme wie Interstellar oder Gravity noch vor wenigen Jahren möglicherweise ziemlich witzlos gewirkt hätten. Was aber neben der Technik beeindruckt, ist eine erzählerische Neuorientierung.

Die neuen Science-Fiction-Filme richten sich zunehmend an ein Publikum, das mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Weltraumfahrt vertraut ist und sich für die Eroberung des Weltraums auch in der Wirklichkeit interessiert - das Kernpublikum sind im Prinzip die gleichen Leute, die vor einigen Wochen jedes noch so schwammige Foto von Pluto gefeiert haben, und letztes Jahr die Landung des Rosetta-Landers auf dem Gummienten-Asteroiden. Heutige Science-Fiction-Filme kommen mit einem lange nicht gesehenen Realismus und einer Begeisterung für Wissenschaft, die nicht nur die Darstellung der Raummissionen beeinflusst, sondern auch die zentralen Konflikte. Zwei der größten Hits der letzten Jahre, Gravity und The Martian, handeln gar nicht erst von aufregenden fremden Welten, sondern von völlig diesseitigen Phänomenen.

Auch das Subgenre des Weltraummonster-Films spielt zunehmend innerhalb unseres eigenen Sonnensystems und reflektiert das zunehmende Interesse einer filmguckenden und buchvorlagenkaufenden Öffentlichkeit an dessen Erforschung. Last Days on Mars (2013), Europa Report (2013) und Apollo 18 (2011) spielen allesamt auf Himmelskörpern, an deren Erforschung wir zur Zeit tatsächlich arbeiten. Auch Duncan Jones' Moon (2009) nutzt den Mond eher als Hintergrund für eine Geschichte von Isolation und durchgedrehtem Technik, gibt sich aber schon große Mühe, ihn so darzustellen, wie wir ihn inzwischen kennen. Ich kann mir gut vorstellen, dass da eine Entwicklung drin steckt: dass diese wissenschaftsbelesenen Weltraumfilme den Boden bereitet haben für die neueren Filme ohne Monster, die sich Hollywood jetzt zutraut.

Seit ich für meinen Comic Voller Mond recherchiere, fällt mir auf, dass Weltraumwissen immer salonfähiger wird. Vor einigen Jahren musste man, wenn man Interesse für die Erforschung des Sonnensystems zeigt, sich noch oft Vorträge über Welthunger und dringendere Probleme anhören, als ob die USA sofort ein anständiges soziales Netz aufbauen und den Regenwald aufforsten würden, wenn sie nur die teure NASA nicht hätten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die kleine Nische der wissenschaftsaffinen Podcasts, Science Slams und organisierten Skeptiker, mit der ich mich seit einiger Zeit befasse, schon ausreichend große Kreise gezogen hat, um ein Milliardengeschäft wie Hollywood zu beeinflussen, aber die Entwicklungen gehen Hand in Hand, und die NASA versteht es inzwischen, sich die Begeisterung etwa anlässlich von The Martian zunutze zu machen, um für ihre Erforschung des Sonnensystems zu werben.

Für mich bedeutet das natürlich, dass die Entscheidung, für Voller Mond noch etwas zu recherchieren statt einfach draufloszuzeichnen, im Nachhinein richtig war. Mit einer zusammengequatschten Abenteuergeschichte, die keine Rücksicht auf den Kenntnisstand der Leserschaft nimmt, hätte ich den Comic zwar inzwischen vielleicht schon fertig, er wäre aber in der gleichen Weise veraltet wie die Mondszenen in Superman II. Andererseits, ein bisschen beeilen muss ich mich schon, sonst gibt es am Ende eine Mondmission, bevor ich fertig bin, und dann ist die ganze Geschichte mit einem Schlag veraltet.

Ein weiteres Genre, das gerade Auftrieb erhält, ist das genaue Gegenteil: die Weltraumoper. Darunter verstehe ich schwungvolle, weltraumumspannende Geschichten voller interstellarem Kitsch und Melodrama, Titel, die in einem bunten, beschleunigten Universum spielen, das immer etwas größer ist als der Teil, den wir zu sehen kriegen. Vielleicht fing das schon mit J.J. Abrams' erstem Star Trek von 2009 an, aber in den letzten zwei Jahren scheint dieses eigentlich eher altbackene Genre nochmal kräftigen Auftrieb zu erhalten: Guardians of the Galaxy (2014), etwas weniger erfolgreich Jupiter Ascending (2015) und natürlich ganz bald der neue Star Wars. Ich weiß noch, wie ich bei Guardians mehrfach dachte: Egal, was die Handlung ist, ich will einfach mehr Filme in dieser Welt sehen! Das ist Weltraumoper. Es ist oft, streng genommen, nicht mehr Science Fiction, denn die gezeigte Technologie ist von der Nachvollziehbarkeit her eher Magie als Wissenschaft, und in Star Wars ist der Bezug zur Magie ja eh explizit.

Die Weltraumoper hat bereits seit Flash Gordon einen starken Comicbezug - im Comic ließ sich die Fremdheit fremder Welten lange Zeit am Besten darstellen. So gesehen ist es kein Zufall, dass auch im Comic die Welraumoper einen bemerkenswerten Hit gelandet hat - Saga von Brian K. Vaughan und Fiona Staples. Und Luc Besson arbeitet gerade an einer Verfilmung des Comicklassikers Valerian. Vieleicht ist diese Renaissance kein Zufall - nach dem Motto: je nüchterner der Ton in der gegenwärtigen Science Fiction wird, desto größer das Bedürfnis bei einigen Fans, mal wieder so richtig rumzuspinnen?

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