Der m(ech)anische Comiczeichner

Max Vähling zeichnet Comics und redet darüber.


Freitag, 2. Oktober 2009
Comiczeichnen als Extremsport: 12 Tipps für 24-Stunden-Comics
Arbeitsorganisation
Morgen ist es mal wieder so weit: Rund um die Welt versammeln und/oder sammeln sich Comiczeichner und produzieren so viele Comics wie an keinem anderen Tag im Jahr, denn es ist wieder 24-Stunden-Comic-Tag! Das Event geht auf eine Idee von Comic-Guru Scott McCloud zurück: einen vollständigen Comic von 24 Seiten in ebensovielen Stunden fertigzukriegen, einfach um zu sehen, ob es geht. Die Idee griff schnell um sich, später mit Internet und so was noch schneller, und seit 2004 gibt es einen offiziellen Tag für diese Comics. Kann man natürlich auch jederzeit sonst tun, aber gemeinsam oder wenigstens vernetzt macht es einfach mehr Spaß. Ich weiß, wovon ich rede, denn wie jeder Jähling-Stammleser weiß, habe ich 2001 auch schon einen solchen Comic verfasst: Starreporterin Olga Stark.

Diesmal ist alles etwas organisierter als damals. Wir - das sind die Alligator-Farmer Till Felix, Rudi Martens und Wittek sowie Nicht-Alligator ich - treffen uns in Hamburg, und statt gelegentlicher Lebenszeichen im Comicforum gibt es Twitter - Till und ich twittern beide, wahrscheinlich er auf deutsch und ich auf englisch.

Laut den Regeln zum 24-Stunden-Comic darf man nichts direkt vorbereiten, aber natürlich die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen - Zeichenmaterialien und Referenzmaterial besorgen, wenn man will Schablonen ausdrucken (ich hatte letztes Mal eine, das hat sehr geholfen, aber die habe ich erst während der ersten Stunde gemacht), auch grobe Ideen haben darf man schon - es ist sogar völlig unmöglich, nicht schon irgendeine Vorstellung mitzubringen, ob man sich nun dran hält oder nicht. Geistig drauf einrichten sollte man sich schon vorher. Das ist wie das Warmlaufen vor dem Sport. Überhaupt ist ein 24-Stunden-Comic eher eine sportliche Herausforderung als eine künstlerische.

Für Einsteiger habe ich ein paar Erfahrungen aus früheren 24-Stunden-Comics zusammengetragen. Vor allem eigene, aber auch was ich so aufgeschnappt habe.

1. 24 Stunden zu zeichnen kann ganz schön schleißen, macht euch da keine Illusionen. Es gibt Geschichten von Zeichnern, die sich das Handgelenk nachhaltig verletzt haben. Wenn's anfängt weh zu tun, nicht auf Teufel komm raus weitermachen - aufhören! Was anderes machen! Das geht zwar alles von der Zeit ab, aber besser von der Zeit als von der Hand! Wenn möglich, sollte man die Arbeit so verteilen, dass es zu jedem Zeitpunkt verschiedene Sachen zu tun gibt. Schreiben, zeichnen, denken, tuschen, lettern. Meinetwegen radieren. Und immer wieder aufstehen, strecken und vielleicht sogar um den Block gehen.

2. Am schnellsten kommt man durch die 24 Stunden, wenn man einfach draufloszeichnet. Wer erst schreibt, wie ich es mir in den acht Jahren seit Olga mühsam angewöhnt habe, kommt viel zu spät zum Zeichnen. Andererseits ist genau das ein Problem: Die Geschichte bleibt unstrukturiert und droht auszuufern. Das ist nur begrenzt okay. Der Comic muss keine Literaturpreise gewinnen, sollte aber als Geschichte funktionieren. 24 Seiten mit je ca. 6 Bildern zu zeichnen, ist einfach. Ein Comic wird es erst, wenn es 24 Seiten mit sinnvoll hintereinanderpassenden Bildern sind. Darauf müsst Ihr achten. Am besten ist es, zumindest einen groben Handlungsverlauf, vielleicht auch einen Seitenumbruch zu machen, also über jede Seite drüberzuschreiben, was auf ihr passieren soll.

3. Überhaupt kann es sinnvoll sein, einige der sonst üblichen Arbeitsschritte zusammenzukürzen, aber du solltest dir genau überlegen, welche. Das Schreiben würde ich zum Beispiel lieber nicht streichen. Beim Vorzeichnen lässt sich vielleicht ein Schritt streichen - vielleicht das Nachziehen mit Blaustift? Oder wenn Du auch nicht radieren willst, vielleicht nur den Blaustift? Viele Zeichner verzichten auch aufs Tuschen. Und wenn du nicht gerne Hintergründe zeichnest, kannst du dir überlegen, die ersten drei Stunden mit einer Digitalkamera rauszugehen und welche zu fotografieren - warum nicht? Abkürzungen sind erlaubt. Nur halt nicht immer zu empfehlen.

4. Normalerweise empfehle ich, mindestens einen Arbeitsgang von vorne bis hinten durchzuarbeiten, damit man die Logik der Geschichte nicht aus den Augen verliert. Das ist in diesem Fall umso wichtiger: Die Zeit, mit etwas Abstand nochmal auf die Geschichte zu gucken und gegebenenfalls noch was zu ändern, wirst du nicht haben. Und auch mein anderes Argument, dass man dann nicht die ganzen guten Stellen zuerst macht und die langweiligen später, wird noch bestärkt, wenn man im Angesicht der doofen Stellen eh schon übermüdet ist. Umgekehrt - und im Gegensatz zu dieser Empfehlung - kann es sinnvoll sein, sich eine besonders gute Stelle für den Schluss aufzusparen. Wegen der Vorfreude.

5. Natürlich bleibt keine Zeit, noch groß Settings und wichtige Gegenstände zu recherchieren. Also sollte man entweder alles etwas ungenau darstellen oder auf Dinge zurückgreifen, die man um sich hat. Naja, heutzutage kann man manche Dinge auch schnell googlen, aber da verzettelt man sich leicht, besonders wenn man eh müde ist und die Konzentration nachlässt.

6. Action ist Deine Freundin! Das hat mich damals etwas überrascht. Ich dachte, gerade die aufwändigeren Actionszenen würden mich eher aufhalten und auf Dauer nerven. Aber im Gegenteil: die Actionszenen fielen mir leichter - wahrscheinlich weil bei denen klar war, was wo hingehört. Plus, ein bisschen austoben ist immer gut.

7. Was ohne Ende genervt hat, waren Dialogszenen. Nicht wegen der vielen Texte. (Okay, auch. Ich habe nie gerne handgelettert.) Sondern weil in jedem Bild einer Dialogszene dieselben Figuren beim Sprechen gezeigt werden - um Abwechslung reinzubringen, muss man eine Extraanstrengung erbringen. Wally Woods "22 Panels that always work" (der Link funktionierte nicht mehr, aber googlet's einfach mal) helfen - sie funktionieren nämlich wirklich immer -, aber irgendwann ist man auch die leid.

8. Splash Panels. Da habe ich bei Olga zwar einen Witz draus gemacht, aber die Wahrheit ist: sie sparen keine Zeit. Wenn sie was taugen sollen, dauern sie genauso lange wie sechs normale Bilder. Aber sie schaffen Abwechslung, und Abwechslung ist wichtig, um bei der Stange zu bleiben.

9. Halte das Layout einfach. Ein aufwändiges Layout ist nun mal, naja, aufwändig. Auch wenn's gut aussieht, versuche auf offene Bilder zu verzichten, die an den Seitenrand rangehen. Die Seitenränder sehen nach nicht viel aus, aber die Fläche von fünf Seitenrändern entspricht schätzungsweise der einer Seite. Das ist die Zeit, die es dich kostet.

10. Stilexperimente machen Spaß, kosten aber Zeit. Zeichne in dem Stil, der Dir am leichtesten fällt. Alles andere, selbst wenn es ein künstlich vereinfachter Stil ist, erfordert einen Extraaufwand beim Erarbeiten der nötigen Sicherheit.

11. Benutze vertraute Arbeitsmaterialien. Bist Du sicher, dass das schöne neue Papier wirklich mit dem Pinselstift zusammen den besten Effekt hervorbringt? Bei Materialien, die Du kennst, musst Du nicht groß rumprobieren. Und die Zeit läuft ab dem ersten Strich.

12. Schließlich noch der wichtigste Tipp: Scheitern ist keine Schande. Wenn am Ende des Wochenendes nicht mehr rausgekommen ist als der Grundstock eines richtig guten Comics, dann ist das schon mehr als du vorher hattest. Es ist auch kein Problem, wenn du dich hinterher entscheidest, den Comic nicht zu veröffentlichen - wenn auch schade. Wichtig ist nur, dass du den Comic in dem Bewusstsein zeichnest, dass er veröffentlicht werden SOLL. Denn sonst schlurst du von vornherein, und dann kannst du es eigentlich auch gleich lassen. Der Sinn der Übung ist ja nicht, zu sehen, wie lange man einen Stift halten kann, sondern wie viel Comic man in der Zeit herauskriegt.

12b. ... Und Spaß dabei zu haben. Vergiss den Spaß nicht!

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